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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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dem Fenstersims lag, las den Titel und legte es wieder zurück.
    »Erfreut sich bester Gesundheit.« Unversehens wurde ihr elend. Der Raum schwankte und wurde immer kleiner; die Wände kamen auf sie zu, als hätten sie die Absicht, sie zu zerquetschen. Sie schwitzte auf einmal so stark, als hätte sie über Stunden zu nah am Kaminfeuer gesessen. Ihr Bauch zog sich schmerzhaft zusammen. »Mir ist gar nicht gut«, hauchte sie.
    Das Frühstück rumorte gleich einer Horde Plünderer in ihrem Magen und suchte sich einen Weg nach draußen. Gerade noch rechtzeitig schlug sie sich die Hand vor den Mund. Cornelis öffnete geistesgegenwärtig die Tür zum Abort – keuchend übergab sich Bernhardine in das schmutzige Loch. Der unerträgliche Gestank ließ sie weiter würgen, bis sie nur noch Galle und Speichel erbrach. Der Maler hatte unterdessen ein feuchtes Tuch geholt und wischte ihr damit den Schweiß von der Stirn.
    »Du solltest dich hinlegen!«, sagte er. »Im Gesindehaus sind schon mehrere Leute erkrankt. Man spricht von einer Influenza. Angeblich sind im Nachbardorf bereits Todesfälle zu beklagen.«
    Bernhardine erschrak. Die Grippe war gefährlich. Vor allem für Kinder und alte Leute. Hatte sich Désirée etwa angesteckt und die Grippe danach an ihre ganze Umgebung weitergegeben? Aber die junge Amme wie auch Marie waren putzmunter, obwohl sie viel mehr Zeit mit den Sprösslingen verbrachten als sie.
    »Es geht schon«, sagte sie und presste die Hand auf ihren Magen. »Ich muss zurück. Wenn man mich hier findet, dann …«
    Sie brauchte nicht weiterzusprechen. Beide wussten, was ihnen blühte, sollte sie jemand zusammen in Cornelis’ Kammer überraschen. Sie griff nach ihrem Mantel und schlüpfte hinein. Als sie nach der Klinke langte, hielt sie der Holländer am Ärmel fest.
    »Ich werde Désirée aus dem Gedächtnis malen.«
    In Bernhardines Hals bildete sich ein dicker Kloß. Ihre Stimme versagte. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und trat ins Schneegestöber hinaus.

    Eine Woche war seit Désirées Verschwinden vergangen. Der Alltag kehrte nur langsam wieder ins Schloss zurück. Die Bediensteten fingen an, die Räume mit Stechpalmen- und Mistelzweigen zu schmücken. In allen Zimmern duftete es nach Zimt, getrockneten Äpfeln und Tannenzweigen. Der dritte Advent nahte. An diesem Tag sollte für Désirée ein Abschiedsgottesdienst in der Seenger Kirche abgehalten werden, denn keiner glaubte mehr daran, dass die Kleine noch lebend gefunden werden würde. Auch Bernhardine verbat sich jede weitere Hoffnung. Obwohl sie ihre Tochter oft in ihren Träumen sah, wie sie in einer hellen Landschaft umherwanderte, das Gesichtchen ganz rot und vom Weinen geschwollen. Dazu barfuß, in ihrem weißen Nachthemd, ohne Haube, so dass ihre roten Locken die pausbäckigen Wangen umwirbelten, als bliese ein stürmischer Wind. Und wenngleich Bernhardine nach diesen Träumen weinend erwachte, fühlte sie sich unerklärlicherweise getröstet. Als ob sich ihre Kleine zwar weit weg, aber dennoch in Sicherheit befände. Sie konnte sich dieses Gefühl nicht erklären und versuchte einmal, mit Johannes darüber zu sprechen. Doch ihr Gatte winkte nur ungehalten ab. Selbst Marie, die doch sonst so gerne über Träume und deren Bedeutung palaverte, wollte von Bernhardines Schlafbildern nichts hören.
    Cornelis sah Bernhardine nur noch selten. Er malte am Porträt weiter, obschon die Sitzungen nicht mehr stattfanden. Die Zwillinge kränkelten weiterhin und blieben keine Minute ruhig. Und so beschäftigte sich Bernhardine wieder mit den ihr verhassten Stickarbeiten, wenn sie nicht gerade in Sidonias Werken las, oder verbrachte ihre Tage damit, aus dem Fenster zu starren.
    Der dritte Advent war ein eisigkalter Tag. Der Schneesturm hatte sich über Nacht nach Osten verzogen und ließ eine weiße, erstarrte Landschaft zurück. Der innere Burggraben war zugefroren wie auch der größte Teil des Sees. Nur beim Abfluss des Aabachs waren dunkle, mit scharfen Kanten versehene Eislöcher auszumachen.
    Huldrich stand beim Schlitten, als Bernhardine und Johannes aus dem Palas traten. Der magere, kleine Kerl hielt mit Mühe die Zügel der stämmigen Pferde fest, aus deren Nüstern Dampfwolken in den blassblauen Himmel stiegen. Er warf ihr einen eigenartigen Blick zu, als sie über den Hof schritt. Obwohl der Einarmige immer noch wie ein Bettler aussah, prangte ein Paar neue Holzschuhe an seinen Füßen.
    Wie kann er sich solch teures Schuhwerk

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