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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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hatte auch Angst gehabt, vor dem Mann, vor dem Wald mit seinen Geräuschen und all der Gefahr.
    Jule Tenbrock nebenan dachte überhaupt nicht an Schlafen, sie lag wach in ihrem Bett, atmete unregelmäßig und horchte auf das leise Schnarchen des Hundes, die kleinen heiseren Wuff-Geräusche, die Zsazsa im Traum von sich gab, und in seiner Wohnung lag Abramowski wach, hörte auf den Wind, der kurz nach Mitternacht einsetzte, und dachte nach.
    Am Morgen regnete es, und Pola wurde elend bei dem Gedanken, dass sie mit Zsazsa wieder rausmüssen würde, weil Zsazsa morgens rausmusste.
    Ja klar, schon gut, sagte sie schwach, als Jule Tenbrock sagte, spätestens wenn ich die Wohnung verlasse, sind Sie draußen.
    Schon beim Aufwachen hatte Pola sich schlapp und gerädert gefühlt. Ihr Gesicht glühte, und ihre Füße waren eiskalt. Zsazsa hatte den Kopf an ihre Schulter gedrückt und leckte ihr den Hals. Wenn Zsazsa sie ableckte, wusste sie, dass sie krank war.
    Sie blieb noch einen Augenblick liegen und war versucht, Jule Tenbrock um Aufschub zu bitten und zu fragen, ob sie wohl kurz mit dem Hund rausgehen würde; dann merkte sie, dass sie Fieber haben musste, sonst wäre sie nicht auf die Idee gekommen, diese Frau mit dem Desinfektionsfimmel könnte sich auch nur eine Sekunde lang um Zsazsa kümmern oder sie beide in ihrer Wohnung lassen, und Pola fühlte sich zu elend, als dass sie die Demü­tigung einer Abfuhr heute früh hätte hinunterschlucken können. Überhaupt fiel ihr das Schlucken schwer und tat weh.
    Ja klar, schon gut, sagte sie etwas krächzend und stand auf.
    Jule Tenbrock sah aus wie aus dem Ei gepellt und roch nach dem Zeug, das sie am Vorabend ins Treppenhaus gesprüht hatte, sie plapperte unaufhörlich, und durch den Nebel hindurch, den das Fieber in ­ihrem Kopf erzeugte, bekam Pola mit, dass Jule heute erst gegen Mittag in der Wäscherei anfinge, auf dem Weg dahin würde sie im Coffee-Point haltmachen und sich später im Super-K ein Brunch-­Paket holen, sie hätte also kein Frühstück für Pola im Haus. Immerhin bot sie ihr eine Tasse Kaffee an.
    Kaffeeweißer ohne Laktose, dachte Pola. Kabel 7, ihr Lieben.
    Ihren Pulverkaffee bewahrte Jule in einer mit Bauernmuster bemalten Dose in ihrer Vitrine auf, auf die sie sehr stolz war. Sie war fast so prächtig wie die große Vitrine in der Meile, hinter deren Glasscheiben all die Dinge ausgestellt waren, die in der nächsten Woche zu gewinnen sein würden.
    Neben der Kaffeedose hatte sie in einem kleinen lackierten Kästchen noch ein paar Schätze, die sie für zu luxuriös hielt, als dass sie sie Pola anbieten moch­­ te: ihre exquisiten Teebeutel. Das Kästchen mit der Teesammlung hatte sie bei »Zeit & Genießen« gewonnen, einer ihrer Lieblingsvorabendshows, bei der die Zuschauer Quizfragen beantworten konn­­ ten. Meistens kam man telefonisch nicht durch, »Zeit & Genießen« hatte ein geniales Moderatorenduo, das Einschaltquoten zustande brachte, von denen andere Shows nur träumen konnten. Jule war trotz des Telefonansturms einmal durchgekommen, die Frage war wie immer ganz einfach gewesen: Sind die Teesorten der Kollektion Relaxan a) anregend, b) beunruhigend, c) entspannend. Eigentlich hatte Jule noch nie erlebt, dass jemand die Frage nicht beantworten konnte.
    Sie liebte ihre Teesammlung und zelebrierte jede Tasse, wenn sie an kalten Tagen nach einer warmen Dusche in ihren fliederfarbenen Hausmantel geschlüpft war und es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte.
    Teezeremonie nannte sie diese halbe Stunde, auch wenn sie Reiseberichte über Asien gesehen hatte und wusste, dass bei den japanischen Teezeremonien in den Teehäusern oder -gärten nicht der Hausherr für sich selbst Tee kocht und ihn allein trinkt, sondern seine Gäste auf die Art begrüßt und willkommen heißt.
    Eigentlich wollte Jule Tenbrock Pola ihren Tee nicht anbieten, weil sie ihr dafür in ihrem uralten Mantel einfach zu schmuddelig war.
    Andererseits hatte sie jetzt einen Gast und damit die Gelegenheit, das japanische Ritual in seiner ursprünglichen Form auszuführen. So, wie die Reiseberichte es erklärt hatte.
    Angesichts des Häufchen Elends vor ihr, das so gar nichts von dem an sich hatte, was Jule unter einem Gast verstand, zögerte sie einen Moment, fasste dann aber doch den Entschluss.
    Pola sah verschwommen, wie Jule

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