Die Frau mit dem Muttermal - Roman
Bild hoch und betrachtete es aus einem anderen Blickwinkel.
»Ich möchte nur wissen …«, murmelte er. »Manons Quelle … ja, warum eigentlich nicht?«
»Was redest du da?«, fragte Reinhart.
»Ach, nichts«, antwortete der Hauptkommissar. »Ich denke nur laut. Nun gut, Münster, sieh zu, dass jede beschissene Zeitung im ganzen Land dieses Bild kriegt.«
Er wühlte eine Weile zwischen seinen Papieren auf dem Schreibtisch.
»… mit diesem Kommuniqué hier«, fügte er hinzu. »Und dann denke ich, ist es am besten, wenn wir nach Hause gehen und eine Runde schlafen. Morgen will ich euch Punkt neun Uhr hier sehen. Wir werden sicher mit Hinweisen und Spekulationen
überhäuft werden. Mit ein bisschen Glück kriegen wir sie morgen.«
»Daran zweifle ich«, entgegnete Reinhart.
»Ich auch«, konterte der Hauptkommissar. »Ich versuche nur, etwas Optimismus zu verbreiten. Gute Nacht, meine Herren.«
30
Sonntag, der 18. Februar, kam mit lauen Winden und einem leichten Vorgeschmack auf den Frühling. Für denjenigen, der Zeit hatte, diesen Vorgeschmack zu genießen.
Van Veeteren stand um sechs Uhr auf, obwohl er bis tief in die Nacht Sibelius und Kuryakin gelauscht hatte. Er holte die Allgemejne aus dem Briefschlitz und stellte fest, dass das Bild von Maria Adler sich auf der ersten Seite befand. Danach ging er ins Badezimmer und nahm eine lange, immer kälter werdende Dusche, wobei er versuchte, den kommenden Tag vor sich zu sehen.
Dass er lang werden würde – noch einer von vielen –, daran gab es natürlich keinen Zweifel, aber er wusste auch, dass es eine kleine Chance gab. Die Möglichkeit, dass es der letzte in dieser Ermittlung sein würde. Was die Festnahme selbst betraf, natürlich. Den Täter zu fassen … die Frau. Sicher, danach mussten andere Maßnahmen getroffen werden, andere Räder würden anfangen sich zu drehen – Verhör und richterliche Vorführung sowie all die anderen formalen Prozeduren in der Gesetzesmaschinerie, aber das war etwas anderes. Die Jagd wäre vorbei. Nicht, dass seine eigene Rolle damit beendet war, aber die letztendliche Verantwortung würde von jemandem anders getragen. Andere Beamte; besser geeignet für diese Art von Schauspiel.
Er stieg aus der Dusche und bereitete sich sein Frühstück. Frischaufgebrühter Kaffee, Joghurt und vier getoastete Brotscheiben
mit Butter und Käse. Er hatte schon immer Probleme gehabt, richtigen Hunger am Morgen zu empfinden, aber heute zwang er sich dazu. Ihm war klar, dass man so einen Tag nicht mit Kaffee und einer Zigarette anfangen konnte, was sonst viele Jahre lang seine absolute Präferenz gewesen war, wenn es darum ging, sich im Morgengrauen ins Weltgeschehen zu stürzen.
Andererseits, überlegte er, während er das Bild in der Zeitung genauer betrachtete – die Chance, diese leise Ahnung, dass der anbrechende Tag mit einem Fortschritt gekrönt sein sollte, die waren nicht besonders groß. Vielleicht bestanden sie eigentlich nur aus einer frommen Hoffnung und einer Schimäre, die er brauchte, um an einem Sonntag im Februar überhaupt an die Arbeit zu gehen.
Wer würde das nicht brauchen?
Die Frau, die er bisher nur als Maria Adler kannte, flößte ihm Respekt ein, kein Zweifel. Wenn Respekt in diesem Zusammenhang das richtige Wort war.
Zumindest imponierte sie ihm in irgendeiner Weise. Und erschreckte ihn natürlich zugleich. Das Gefühl, dass sie volle Kontrolle darüber hatte, was sie machte, war unabweisbar. Ihre Art, ohne zu zögern zuzuschlagen und sich dann zurückzuziehen – jedes Mal wieder, ja, die zeugte schon von Kälte und Entschlossenheit. Sie hatte sich einen Monat lang in Frau Klausners Villa verborgen gehalten, ihre Aktionen mit unerschütterlicher Präzision durchgeführt, und jetzt war sie verschwunden.
Während er über dem alltäglichen, etwas rätselhaften Gesicht sann, versuchte er zu analysieren, was dieses Verschwinden wohl zu bedeuten hatte.
Entweder – wie jemand schon gesagt hatte – es bedeutete ganz einfach, dass sie fertig war. Ihre Absicht war gewesen, genau diese drei Personen umzubringen, aus irgendeinem Grund, von dem die Polizei bis jetzt nicht die geringste Ahnung hatte.
Oder – stellte er fest und streute Müsli über den Joghurt –, oder ihr war klar geworden, dass es viel zu riskant gewesen wäre, dort zu bleiben. Sie hatte gewusst, dass es an der Zeit war, ihr Versteck zu wechseln.
Oder aber – ein Gedanke, den man natürlich nicht außer Acht lassen durfte –
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