Die Frau mit dem Muttermal - Roman
ihm fiel eine dumme Scherzfrage ein, die Rooth vor kurzem gestellt hatte.
Frage: Wie stellt man heute einen Zufallsgenerator her?
Antwort: Man kippt zwei Bier in einen Bodybuilder.
Danach schlief er ein.
VIII
16. Februar – 9. März
33
Das Hotel Pawlewski hatte schon bessere Tage gesehen, und Herr Pawlewski auch.
Und Gäste.
Als etwas ganz Besonderes hatte er sie vor fünfzig Jahren und mehr betrachtet, als er selbst noch gezwungen war, auf einem blaugestrichenen, abgewetzten Hocker zu stehen, um überhaupt über den Rand des Empfangstresens schauen zu können. Als noch Pawlewskis Vater oder sein Großvater den Laden schmissen. Während seine Mutter und Großmutter den Speisesaal und den Wäschevorrat überwachten und die Köche und mit Pomade frisierte Piccolos an der Kandare hielten. Als das Jahrhundert noch jünger war.
Seitdem war viel Wasser den Fluss hinuntergeflossen. Eine ganze Menge Wasser. Der Hocker stand mittlerweile unter einer müden Palme in seiner eigenen Suite im Hotel, der früher so genannten Hochzeitssuite im vierten Stock. Und einen Piccolo hatte er seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen.
Alles hat seine Zeit.
Die ersten drei Abende verbrachte Biedersen in der Bar in Gesellschaft einiger Whiskytrinker und der bunten, nicht ganz lupenreinen Gästeschar, die zu ungefähr gleichen Teilen aus zufälligen Nachtgästen und den introvertierten Stammgästen der späten Stunde bestand. Es waren nur Männer. Alle hatten schütteres Haar, und fast alle hatten hängende Schultern, irgendeine Art von Bart oder Schnurrbart und glänzende Augen.
Er opferte keine Minute für einen von ihnen, und seit dem Montagabend trank er lieber oben in seinem Zimmer direkt aus der Flasche.
Dadurch wurden die Tage eintönig und austauschbar. Er stand gegen zwölf Uhr auf. Verließ sein Zimmer eine Stunde später und verbrachte den Nachmittag in der Stadt, damit das Zimmermädchen zumindest die Chance bekam, hineinzugehen und die Grenze zu einem neuen Tag zu markieren. Er trank in verschiedenen Cafés schwarzen Kaffee, vorzugsweise bei Günther unterhalb des Stadthügels; versuchte eine oder mehrere Tageszeitungen zu lesen, machte einen ausgedehnten Spaziergang und kaufte Zigaretten und die Nachtflasche ein, die er mit einer Sorgfalt aussuchte, die ihm etwas übertrieben, aber gleichzeitig unumgänglich erschien. Als wäre es eine Frage der grundlegenden Regeln in einem Spiel, von dem er nicht so recht wusste, ob er Spielleiter oder eine Spielfigur war, das aber zufälligerweise alles war, was überhaupt in seinem Leben Raum einnahm. Alles.
Er kehrte auf Umwegen wieder zu Pawlewski zurück, sobald er merkte, dass die schmutzig graue Dämmerung einzusetzen begann. Was in einer Stadt wie dieser früh der Fall war, begleitet von dem sauren Regen und dem Niederschlag aus den mit Kohlen geheizten Heizwerken.
Auf dem frisch gemachten Bett ausgestreckt, mit gurrenden, kranken Tauben draußen auf dem Dach, trank er den ersten Whisky des Tages, wonach er ein Bad nahm mit Nummer zwei in bequemer Reichweite auf dem Boden. Dann begab er sich in den Speisesaal und aß zu Abend, oft als einer der ersten Gäste, manchmal ganz allein in dem überdimensionalen, rattenbraunen Lokal mit den stumpfen Kristallleuchtern und Tischdecken, die einmal weiß gewesen waren. Er trank zum Essen Bier, hinterher Kaffee und Cognac, und jeden Abend blieb er etwas länger dort sitzen.
Wer dieser Gast war, und was er verflucht noch mal in einem Monat wie Februar in dieser stinklangweiligen Stadt zu
tun hatte, das waren Fragen, die sich Pawlewski bereits seit vierzig Jahren nicht mehr stellte.
Anfangs waren der Rausch und der ohnmachtsähnliche Schlaf ein Ziel an sich gewesen. Einfach loskommen, fortfliegen und eine Distanz schaffen war alles, was er wollte. Dass sich nach einer Weile ein anderer Zustand einstellen müsste, dass er sich tragfähigeren Strategien und Handlungsplänen nähern müsste, dieser Gedanke schlummerte lange nur in seinem Hinterkopf. Acht Stunden lang schlief er traumlos. Ahnungslos. Fort von allem und allen. Am Morgen wachte er schweißgebadet und mit so starken Kopfschmerzen auf, dass er alle anderen Gefühle auf meilenweitem Abstand hielt. Und allein etwas Pulver einzunehmen und sich erneut für die Nachmittagsstunden auf den Straßen und in den Cafés zu präparieren bedeutete ja, dass er das schiefe Rad der Zeit wieder zum Rollen gebracht hatte. Einen neuen Tag gewonnen hatte.
In der siebten Nacht war es
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