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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Garder
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Ich bestelle eine Karaffe vom roten Hauswein zu 90 Kronen. Ich kann nicht schmecken, was genau es ist oder woher er kommt, aber es ist ein guter Wein, vielleicht ein Cabernet Sauvignon. Mir wird eine Mahlzeit mit vier Gängen serviert: Salat, Blumenkohlsuppe, Kalbsfilet und Erdbeeren mit Sahne.
    Nach dem Essen gehe ich zum Auspacken auf mein Zimmer. Ich trinke noch einen Schluck Wodka und schaue hinaus in die Sommernacht. Es regnet kräftig, das Wasser strömt nur so herab. Die Möwen schreien über dem Fjord und dem Dach des Lebensmittelladens. Ich trinke einen letzten Schluck, dann gehe ich ins Bett.
     
    Und am nächsten Morgen treffe ich dich draußen auf der Veranda. Ihr wart nach dem Essen gekommen, als ich schon meinen Wodka oben auf dem Zimmer trank. Ich dachte natürlich an uns. Und du warst schon im Hotel. Man hatte euch im Café ein einfacheres Abendessen serviert, als längst der Kaffeewagen von der Anrichte weggefahren worden war und niemand mehr im Speisesaal saß.
     
    Ich bleibe lange liegen und höre den Möwen zu, bis ich einschlafe. Als ich den Kopf auf das Kissen lege und die Augen schließe, denke ich: Hier drinnen – es ist so gut und warm, hier drinnen zu sein. Es ist so gut und warm, ich zu sein.
    Dann gerate ich in diesen seltsamen Traum. Er scheint die ganze Nacht zu dauern, ja, noch viel länger, und heute kommt er mir wie etwas vor, das ich wirklich erlebt habe.
    Ich habe es erlebt.
     
    Und hier setze ich den Schlusspunkt hinter meine kleine Odyssee. Ich habe den ganzen Tag geschrieben, fast ohne zu essen. Ich habe nur Kaffee und Tee getrunken, das heißt, zweimal war ich beim Eckschrank und habe mir einen Schnaps genehmigt.
    Und du? Bist du wieder zu Hause nach der Planungssitzung?
     
    Ja, ich bin zu Hause, aber ich finde, du solltest lieber einen Bogen um den Eckschrank machen. Es ist doch erst fünf. Wie wär’s mit der einfachen Regel, dass du den Schrank frühestens um acht oder neun Uhr abends aufmachst? Aber darüber sprachen wir früher schon. Ich konnte am frühen Nachmittag in der Kneipe nach dir Ausschau halten, und da hast du gesessen und hattest schon das erste Bier.
     
    Es sind noch immer dieselben gewaltigen Dimensionen, die mir zu schaffen machen. Wird es dir nicht wenigstens schwindlig, wenn du daran denkst, dass du ein Teil dieses Universums bist? Ich schreibe, dass ich einen Zusammenhang zwischen meinem eigenen Bewusstsein und dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren ahne, und du redest von ein paar Fingerhüten Schnaps aus einem morschen Eckschrank im Konglevei. Es ist fast rührend, dass du mir gegenüber noch immer so – fürsorglich bist.
     
    Ich weiß, dass es rührend erscheinen mag.
     
    Aber antworte! Wie denkst du über das, worüber ich mir auf dieser Fahrt den Kopf zerbrochen habe?
     
    Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll … vielleicht ungefähr dasselbe, wie diese Studentin: Faszinierend, Steinn! Und diesmal meine ich es nicht ironisch, sondern wirklich genau so. Davon abgesehen, ist es ein Vergnügen, deinen Formulierungen nachzulauschen: »… und trotzdem können wir bis auf Weiteres nicht ausschließen, dass dieses Universum ein wildes Gewimmel von Seelen und Geistern in den verschiedensten äußerlichen Erscheinungsformen ist.« Das hat was. Oder wenn du schreibst: »Ich glaube, es muss eine tiefere Erklärung – eine Wurzel, einen Grund – hinter den physischen Gesetzen geben, die unser Universum geformt haben.« Dein Minimum eines Credo hast du es genannt. Damit hast du immerhin versucht , meine Frage nach dem zu beantworten, woran du glaubst.
     
    Aber ich hatte noch um etwas anderes gebeten: Ich wollte deinen Traum – und dann bekomme ich eine materialistische Abhandlung. Ich zweifle keine Sekunde an deren Qualität als naturwissenschaftliche Tour de force . Auch als Reisebericht wird man sie dir sicher durchgehen lassen, aber du sprichst darin ausschließlich von der äußeren Schale um unsere geistige Natur. Für mich ist das so, als beschäftigtest du dich mehr mit der Muschelschale als mit der wohlgerundeten Perle, die darin sitzt. Und kommen nicht auf eine Muschel mit Perle tausend leere!
    Du überraschst mich immer aufs Neue.
     
    Ich sitze in einem Raumschiff, das seine Bahn um die Erde zieht. Ich fühle mich schwerelos. Ich habe das Gefühl, keinen Körper zu haben. Ich bin pures Bewusstsein.
     
    Der Planet unter mir ist bedeckt von Ruß und Staub. Der ganze Planet ist schwarz. Ich sehe kein Meer und kein Land. Nicht einmal

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