Die Frau ohne Gesicht
sie ihren Blick direkt in die Kamera: »Arthur, ich glaube, dass du während unserer Ehe nie, auch nicht einen Moment lang bereut hast, was du mir angetan hast. Du hast dich zwar oft entschuldigt, geglaubt, mich mit Blumen und Geschenken entschädigen zu können, aber du hast doch immer wieder zugeschlagen. Ich weiß nicht, wie du jetzt bist, wir haben uns seit vielen Jahren nicht gesehen. Ich möchte dich auch nicht wiedersehen, denn über das, was passiert ist, bin ich nie ganz hinweggekommen. Vieles macht mir immer noch Angst, laute Stimmen zum Beispiel oder streitende Menschen. Du hast mir diese bleibende Angst eingeprügelt. Bei deinen Fernsehauftritten habe ich den Eindruck gewonnen, dass du dich nicht verändert hast. In unserer Ehe hat es dir Genuss bereitet, mich zu schlagen. Arthur, unsere Ehe hat mein Leben zerstört. Jetzt werde ich mir ein neues Leben suchen. Dieses Video ist der erste Schritt.«
Sarahs Bericht wurde in einem Zug aufgenommen. Nur die letzte Szene, in der sie einige schriftlich formulierte Sätze sagte, musste zwei Mal gefilmt werden. Sarah erwähnte die offiziellen Schätzungen über die Anzahl von Gewalttaten gegen Frauen in Großbritannien, die Maggie recherchiert hatte, und nannte die Kontaktdaten von zwei seit langem tätigen Hilfszentren. Zum Schluss forderte sie alle Opfer häuslicher Gewalt auf, professionelle Hilfe zu suchen.
Berg schaltete die Kameras und Scheinwerfer aus.
Sarah blieb sitzen und fragte erleichtert: »Wie war es?«
»Gut. Sehr gut! In ein paar Tagen kannst du dir das fertige Video ansehen«, sagte Lia.
Maggie ging zu Sarah und legte die Arme um sie. Sie hielten sich lange fest umarmt, ohne ein Wort.
Berg brachte Sarah in das Hotel, in dem für die nächsten Wochen ein Zimmer für sie gebucht war. Inzwischen sahen Lia, Rico und Maggie sich die Videoaufnahme an.
»Das wird ein absoluter Hit«, sagte Rico. »In Sarahs Gesicht ist so viel zu lesen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer, der dieses Video sieht, Fried noch seine Stimme gibt.«
Lia schaute zu, während Rico und Maggie routiniert das Video bearbeiteten. Maggie verstand sich noch besser als Rico darauf, zu erkennen, an welcher Stelle geschnitten und welcher Bildwinkel gewählt werden sollte. Meist wusste sie auf Anhieb, welche Alternative die beste war.
»Instinkt, Schätzchen, Instinkt«, sagte sie mit ihrer Kosmetikerinnenstimme.
Der Instinkt stammte aus der Zeit, als Maggie in Werbestreifen und Kunstfilmen aufgetreten war.
Berg kam zurück, er hatte Mari bei sich. Obwohl das Video erst zum Teil bearbeitet war, beeindruckte es Mari sehr.
Gegen Abend war die Arbeit getan. Alle waren erschöpft, aber zufrieden mit dem Ergebnis. Das Video hatte nun eine Laufzeit von vier Minuten und sechs Sekunden und wirkte selbst bei mehrmaligem Betrachten noch immer hypnotisierend.
Man merkt es eben, wenn jemand ganz und gar aufrichtig ist.
Berg fuhr alle zum Studio. Die anderen machten sich von dort auf den Heimweg, während Lia und Mari noch eine Weile beisammensaßen.
»Morgen geht es los«, sagte Mari. »Du bist zum ersten Mal bei der Verwirklichung einer langfristig geplanten Operation dabei. Du wirst es genießen, glaub mir!«
»Bestimmt«, nickte Lia und ging in die Küche, um Snacks und etwas zu trinken zu holen. Als sie zurückkam, stand Mari kreidebleich vor dem Sofa und starrte auf den Fernseher, wo gerade die Nachrichten liefen.
Lia trat zu ihr und gemeinsam betrachteten sie die Aufnahme aus der Ludgate Hill Street in der Londoner City. Ein blaues Auto stand auf dem Gehsteig. Rundherum waren Polizisten damit beschäftigt, das Gebiet abzusperren.
Am unteren Bildschirmrand lief der Text: V erstümmelte Leiche im Kofferraum eines Wagens mitten in London … Übereinstimmungen mit dem Opfer im Frühjahr … Fundstellen nahe beieinander.
Schweigend verfolgten Mari und Lia die Nachrichten, in denen die spärlichen Angaben mehrmals wiederholt wurden.
»Es ist nicht weit von hier«, sagte Mari schließlich. »Willst du es dir ansehen?«
»Nein. Oder ja. Ich weiß nicht.« Lia überlegte eine Weile. »Kommst du mit?«, fragte sie dann.
Mari schüttelte den Kopf.
»Nein. Vermutlich fotografiert die Polizei die Schaulustigen. Außerdem beginnt morgen der Countdown für Arthur Fried.«
An der Straßenecke der Ludgate Hill sah es aus wie am Drehort eines Katastrophenfilms. Hektische Menschen in Uniform, große Fahrzeuge, Scheinwerfer.
Der Verkehr wurde umgeleitet. Die Polizei hatte den
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