Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau ohne Gesicht

Die Frau ohne Gesicht

Titel: Die Frau ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pekka Hiltunen
Vom Netzwerk:
schaukelten bunte Kabelstücke, die von den Bügeln abstanden.
    »Ein Freund von mir macht Designerbrillen«, sagte Rico, als er Lias Blick bemerkte. »Ich bin sein Versuchskaninchen. Diese hier heißt Web 7.7., das passt ganz gut zu mir.«
    Es war Lias erste längere Begegnung mit Rico. Er wirkte lustig und sehr lebendig, und er redete unglaublich schnell.
    Über den Monitor sausten Codes und Texte, die Lia unverständlich waren.
    »Was ist der ›Brunnen‹?«, fragte sie. »Ich habe noch nie davon gehört.«
    »Kein Wunder.«
    Vom Brunnen wussten nur einige IT -Profis, erzählte Rico, und selbst von denen hielten ihn die meisten für eine Legende. »Der Zugang ist sorgfältig abgesichert, damit niemand den Brunnen verdirbt.«
    Langsam verstand Lia: Der Brunnen war eine Art Öffnung, durch die einige Nerds, die ihr Leben der Informationstechnik geweiht hatten, sich in Bereiche schlichen, in die sie eigentlich nicht hineindurften. Er war der Treffpunkt der Hackerelite.
    Hacker überwanden die Schutzmauer von Informationssystemen und stellten fest, wie die Systeme funktionierten; dann teilten sie ihre Erkenntnisse miteinander oder nutzten sie manchmal auch, um Schabernack zu treiben oder Geld zu verdienen. Der Brunnen war eine Website mit geheimen, rasch wechselnden Dateien, die massiv geschützte Seiten beschrieben, zu denen jemand Zugang gefunden hatte. Die besten Profis stellten im Brunnen Verbindungen vor, durch die man zum Beispiel in das System eines Unternehmens eindringen konnte – und informierten auch darüber, wonach man dort suchen sollte und wie man seine Spuren verwischte.
    Kürzlich hatte der Brunnen den Zugang zu Datensystemen mehrerer großer Banken sowie zum Intranet der Gendarmerie Nationale, einer Einheit der französischen Armee, geliefert. Mit deren Hilfe konnte man nun beobachten, was sich auf den Konten der Reichen dieser Welt tat oder welche geheimen Mitteilungen im Hauptquartier der Gendarmerie in der Rue Saint Didier in Paris erstellt wurden. Seit sich die Gendarmerie Nationale vor Jahren bei Neuseeland an der Versenkung eines Greenpeace-Schiffes beteiligt hatte, bei der drei Umweltaktivisten umgekommen waren, zählte sie zu den Standardzielen der Hacker. Zwar interessierten sich die Spezialisten in der Regel nicht für Politik, doch der Gendarmerie Nationale eins auszuwischen war Ehrensache.
    Der Standort des Brunnens wechselte ständig. Verwendet wurden immer alte Server, die ausgemustert worden waren oder auf einer veralteten Technologie basierten und von Unternehmen und Behörden nicht mehr geschützt wurden. Für Hacker war die Nutzung solcher Server alltäglich. Die Nutzer- ID , die den Zugang zum Brunnen und seinen Dateien ermöglichte, war kryptiert und auf anderen Servern hinterlegt.
    Eine der wichtigsten Eigenschaften des Brunnens bestand darin, dass die durchbrochenen Schutzsysteme nur für kurze Zeit sichtbar waren. Das Angebot des Brunnens wechselte täglich.
    Vor allem, betonte Rico, ging es nicht darum, Geld zu verdienen oder Schaden anzurichten, sondern Informationen zu teilen. Aber man müsse lange in der Sparte tätig sein und die erfahrensten Hacker kennen, bevor man auch nur in die Nähe der ersten Zugangspforte kam. Jeder, dem der Brunnen endlich geöffnet wurde, fühle sich verpflichtet, die Informationen, die er dort vorfand, respektvoll zu nutzen.
    »Was passiert denn, wenn jemand das Geheimnis verrät?«, fragte Lia.
    »Das ist noch nie vorgekommen. Aber wer so etwas täte, könnte nicht mehr in der Branche arbeiten. Er würde von wütenden Computergenies verfolgt, die jede seiner Bewegungen im Netz torpedierten.«
    »Kann man das denn?«
    »Man kann fast alles aufspüren, wenn man genügend Power hat.«
    Rico deutete mit dem Kopf zu seinen Arbeitstischen, und Lia begriff, dass mit Power seine Computer gemeint waren.
    »Ist es nicht ein Verstoß gegen die Regeln, dass du mir vom Brunnen erzählst?«, fragte sie lächelnd.
    »Natürlich«, antwortete Rico fröhlich. »Aber du hast keinen Zugang. Und solltest du wirklich mit irgendwem darüber sprechen, würde man dich wohl für paranoid halten.«
    Selbst viele Experten von Datenschutzfirmen hielten es für unmöglich, dass eine Website wie der Brunnen existierte.
    »Außerdem«, fügte Rico hinzu, als stelle er etwas Selbstverständliches fest, »bist du hier, und das bedeutet, dass Mari dich für vertrauenswürdig hält.«
    »Das bin ich auch«, sagte Lia. »Ich weiß so wenig, dass ich keinem gefährlich werden

Weitere Kostenlose Bücher