Die Frau ohne Gesicht
kann.«
Rico lächelte, nahm die seltsame Brille ab und rieb sich die Augen.
»Dieses Teil macht einen wirr im Kopf«, gestand er. »Ist wohl noch nicht ganz ausgereift.«
Dann zeigte er Lia die Computer. Einige waren darauf programmiert, Institutionen zu beobachten, deren Informationen dem Studio nützlich waren. Rico wollte keine Namen nennen, erwähnte aber stolz, darunter seien zwei Einheiten der britischen Polizei und drei internationale Datenverkehrsunternehmen. Mehrere Computer wurden zum Schutz des Studios eingesetzt. Sie sicherten den Datenverkehr der Mitarbeiter, registrierten jeden Versuch, in das Datensystem des Studios einzudringen, und kontrollierten die Räume. Dieses Schutzsystem könne kein Außenstehender überwinden, versicherte Rico stolz. Er habe sogar einen Reservegenerator; das Einzige, was das System zum Absturz bringen könne, wäre eine Explosion, die das ganze Stockwerk zerstörte.
Für die interne Kommunikation hatte Rico ein Programm namens »Blab« entwickelt. In diesem System konnten die Studio-Leute sich sowohl auf den PC wie aufs Handy Mikromitteilungen schicken, die alle sofort erreichten und von außen nicht einsehbar waren.
»Und hier sind meine Mühlen.«
Die Mühlen waren Rechner, mit denen Rico Websites, Chats und Internetvergangenheiten produzierte, die er dann bei der Vorbereitung und Ausführung von Einsätzen nutzte. Er zeigte Lia, wie das Programm zum Beispiel die Chats von Flugzeugfans verfolgte und auf ihrer Basis neue Chats hervorbrachte. Wenn man die von der Mühle generierten Beiträge aufmerksam las, stellte man möglicherweise fest, dass einige von ihnen sprachlich simpel waren oder andere Chats imitierten. Dennoch erfüllten die Erzeugnisse der Mühlen ihren Zweck: Die meisten Menschen überflogen Websites nur und zogen weiter, wenn sie ihnen nicht hochwertig genug erschienen – in der Überzeugung, einen echten Chat gesehen zu haben.
»Wenn wir beispielsweise dich lancieren wollten, würde das Programm hier und da den Namen Lia Pajala einstreuen. Dein Name würde, sagen wir mal, in einem alten Flugzeugchat auftauchen oder in einer Liste von Personen, die vor fünf Jahren irgendwer ins Netz gestellt hat.«
Und schon hätte Lia eine Internetvergangenheit, die nicht ohne weiteres als Fälschung zu entlarven war.
Lia hatte staunend zugehört. Nun wechselte sie das Thema.
»Wie hast du Mari eigentlich kennengelernt?«
Ein Lächeln flog über Ricos Gesicht. »Hat sie dir das nicht erzählt?«
Es war vor vier Jahren gewesen.
»Ich war ein arbeitsloser Computergammler. Eigentlich habe ich damals überhaupt nichts getan. Meistens hing ich im Big Smoke an einem der PC s herum.«
Das Big Smoke war einer von Londons Hackerspaces, ein halboffizieller Treffpunkt, wie es sie in vielen Metropolen gab. Jeder Hacker, der in einem solchen Club Mitglied geworden war, konnte dort herumsitzen, Informationen beschaffen und austauschen.
»Natürlich waren fast alle junge Männer.«
Mitunter boten die Hackerspaces eine Art Tag der offenen Tür an, bei dem auch Nichtmitglieder Zutritt hatten. In der Regel kamen nicht viele Interessenten, aber ein Mal war an so einem Tag Mari erschienen. Allen Männern im Raum hatte es die Sprache verschlagen.
»Weil sie eine Frau ist?«
»Weil sie so eine Frau ist, du weißt schon.«
Die schöne junge Frau, die sich für Computer interessierte, hatte eine fast komische Reaktion ausgelöst.
»Da war kein einziger Mann, der nicht danach lechzte, ihr zu helfen. Und ihre Telefonnummer zu bekommen. Außer mir.«
»Wieso außer dir?«
»Na ja, man sah ihr an, dass sie nicht diese Art von Interesse hatte. Sie suchte jemanden zum Arbeiten.«
Mari hatte erklärt, sie brauche jemanden, der sich mit Websites und Informationssystemen auskannte. Das galt für alle Anwesenden. Sie wählte einen von ihnen aus.
»Sie haben ihre Telefonnummern ausgetauscht. Der Typ ist an dem Abend noch ganz schön vorgeführt worden.«
Ihn rief Mari dann am nächsten Tag an.
»Sie hat den anderen nur nach meiner Nummer gefragt«, erzählte Rico grinsend. »So fing es an. Ich wusste ziemlich bald, dass ich hier mitmachen will.«
Mitten in Ricos Geschichte kam Mari herein und winkte Lia, ihr zu folgen.
»Rico ist wunderbar«, sagte Lia.
»Ich wusste, dass er dir gefallen würde.«
In Maris Zimmer wartete Paddy.
»Patrick Moore«, stellte er sich vor.
Paddy war groß und breitschultrig. Unter dem Bürstenschnitt und der hohen Stirn saßen wachsame
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