Die Frau ohne Gesicht
Kassierer.
»Ja.«
Er schob ihr Kamm und Spiegel hin, rechnete nach und gab ihr das Wechselgeld.
Innerlich jubelnd trat Lia beiseite.
Wenn die Frau in diesem Laden eingekauft hat, kennt sie hier vielleicht jemand.
Sie studierte die Tafel am Ausgang, an der Plakate für Veranstaltungen im Stadtteil warben. Dabei fiel ihr Blick auf die Überwachungskamera unter der Decke.
Der Laden schien unzählige Möglichkeiten zu eröffnen. Es waren nur vage Chancen, das wusste sie. Aber immerhin gab es jetzt eine Richtung, in der sie suchen konnten. Mari und sie würden nicht an die Aufzeichnungen der Kamera herankommen, aber die Polizei konnte sie anfordern.
Lia eilte nach draußen. In der U-Bahn betrachtete sie den Kamm und den Spiegel genauer. Seltsam, dass so anspruchslose Artikel bis nach Großbritannien geliefert wurden. Hatte das Blumenmuster irgendeine besondere Bedeutung?
Hatte Lia nicht eine ganz ähnliche Blume in einem anderen Zusammenhang gesehen? Wo nur?
Sie durchforstete ihr Gedächtnis. In den letzten Monaten hatte sie Unmengen an Informationen gesammelt. Wieder betrachtete sie das Blumenmuster. Margeriten. Und schließlich erinnerte sie sich an die Abbildung auf einer Webseite – die Margerite war das Blumensymbol Lettlands.
Sie konnte es kaum erwarten, Mari alles zu erzählen.
Mari drehte den Kamm hin und her. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau ihren Kamm gerade in diesem Geschäft gekauft hatte? Möglich war es jedenfalls.
»Ein toller Fund. Wir müssten ihn beinahe an die Polizei weiterleiten«, sagte Mari schließlich.
»Wieso beinahe?«, fragte Lia.
»Zuerst sollten wir selbst Nachforschungen anstellen. Die Polizei können wir auch später einschalten.«
»Ich könnte noch einmal in den Laden gehen. Vielleicht treffe ich dann jemanden aus Lettland«, schlug Lia vor.
»Wie wäre es, wenn du eine Pause einlegst? Maggie und ich versuchen inzwischen, mehr über den Kamm oder den Laden herauszufinden«, meinte Mari. »Ich möchte, dass du wieder im Büro der Fair Rule arbeitest. Rico hat einen Weg gefunden, Gallaghers Computer zu knacken.«
Sie führte Lia in den Computerraum.
»Es funktioniert! Ich habe es an drei verschiedenen Rechnern getestet«, rief Rico ihnen entgegen, als sie eintraten.
»Großartig«, lobte Mari.
Rico bat Lia, sich mit ihren eigenen Benutzerdaten in ihre E-Mail oder einen anderen Internetservice einzuloggen.
Lia überlegte kurz und entschied sich dann für Traveldame.com, einen Tourismusservice, über den weibliche Singles Informationen über Rabatte und preisgünstige Einzelzimmer erhielten. Es wäre ihr peinlich gewesen, Mari und Rico eine persönlichere Webseite sehen zu lassen. Auf der Startseite erwartete sie eine Reihe von Angeboten, die alle mit den Worten »Liebe Lia« begannen.
»Hmm, du bist wohl öfter in Frankreich gewesen. Man bietet dir Paris und die Weingüter an der Loire an«, stellte Rico grinsend fest. »Jetzt kannst du dich wieder ausloggen.«
Als Lia die Seite geschlossen hatte, stöpselte Rico die Tastatur aus und verband sie mit einem anderen Computer. Kurz darauf erschienen Buchstaben und Ziffern auf dem Bildschirm.
»Bitte sehr«, sagte Rico. »Lias Benutzername bei Traveldame ist missfinland und ihr Passwort lautet nicedog44. Lia, dein Passwort ist okay, wenn auch nicht besonders kompliziert, aber dein Benutzername ist leicht zu erraten.«
Lia schüttelte verwundert den Kopf. Da standen sie, klar und deutlich, ihre Benutzerdaten.
Rico erklärte, er habe einen Sensor in die Tastatur eingebaut. Wenn jemand schrieb, speicherte der Sensor sowohl den Text als auch den Zeitpunkt. Schloss man den Sensor an Ricos Programm an, dann lieferte er die gespeicherten Daten. Man sah die Mitteilungen, die verwendeten Benutzerdaten und die aufgerufenen Internetseiten.
»Unglaublich«, sagte Lia.
»Ich habe das Programm ›Dakta‹ genannt«, erklärte Rico, »abgeleitet vom Fingerabdruckverfahren Daktyloskopie.«
»Und wie kriegen wir das in Gallaghers Computer?«, fragte Lia.
Rico hatte bereits einen Plan.
»Wir brauchen Gallaghers Tastatur nur mit einer gleichartigen zu vertauschen, die mit dem Sensor ausgestattet ist. Nach einer Weile tauschen wir wieder zurück, und – kazoom !«
»Das hört sich so leicht an«, wandte Lia ein. »Aber im Büro sind immer Leute. Wenn mich jemand an Gallaghers Computer erwischt, stehe ich ganz schön dumm da.«
»Keine Sorge«, meinte Mari. »Ähnliche Tauschoperationen haben wir schon öfter
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