Die Frau ohne Gesicht
Wohnheims.
»Danke«, sagte er mit strahlenden Augen.
»Gehst du noch ins Studio?«
»Dreimal darfst du raten. Und Marge kommt auch. Sie will die Ausbeute sofort sehen.«
Lia lächelte über Maris neuen Spitznamen.
»Schlaf gut«, wünschte Rico.
Lia sah ihm nach, als er im grauen Lieferwagen des Studios auf der Kidderpore Avenue davonfuhr. Plötzlich siegte die Neugier über ihre Müdigkeit. Was hatte die Tastatur gespeichert?
Hastig nahm sie ihr Handy und rief Rico an.
»Kannst du noch mal umdrehen? Ich würd’ gern mitkommen.«
24.
»Viel Kaffee und harte Fakten. Das hält wach«, sagte Rico.
Sie waren wieder im Studio, Lia, Mari und Rico. Sie saßen in Ricos Zimmer und lasen, was die Tastatur aus Gallaghers Computer gefischt hatte.
Es zeigte sich, dass er täglich mit Arthur Fried Mails wechselte.
»Ich habe Stephen und Simon in den Arsch getreten. Sie spielen sich als Künstler auf, und die neuen Plakate haben viel zu wenig Signalwirkung.«
»Wenn morgen kein Geld aufs Konto fließt, können wir die Scheißwahl vergessen.«
Die Benutzernamen, die Gallagher verwendete, kreisten um bestimmte Themen: die Partei, Polo, die Namen von U-Bahn-Stationen und Hunde.
Lia fragte, woher sie denn wissen sollten, auf welchen Seiten er sich unter welchem Namen einloggte. Die Webseiten speicherte der Sensor ja nicht.
»Das lässt sich überraschend leicht feststellen«, erklärte Rico.
Die Seiten finde man, indem man die vom Benutzer geschriebenen Texte im Internet suche. Selbst wenn es sich um geschlossene Seiten handle, gehe der Themenkreis aus den Texten hervor, und Foren seien recht schnell zu identifizieren. Um ganz sicherzugehen, könne man sich mit den Benutzerdaten einloggen, die der Data-Sensor registriert hatte.
»Und wenn die Seite speichert, wann die Daten zuletzt benutzt wurden?«
Die wenigsten achteten auf diese Angaben, antwortete Rico. Und Logs zu ändern gehöre für jeden Hacker zum Basis-Handwerk.
Es war interessant, die Mails zu lesen, doch sie enthielten keine großen Geheimnisse.
»Sehen wir uns die Konten an«, schlug Mari vor.
Rico fand schnell heraus, dass Gallagher in den letzten Tagen Konten der Fair Rule bei sechs verschiedenen Banken benutzt hatte.
Dakta zeigte ihnen, mit welchen Benutzernamen und Passwörtern Gallagher sich bei den einzelnen Banken einloggte, doch die ständig wechselnden Kennziffern waren dem Programm nicht zugänglich.
Also hatten sie keinen Zugriff auf die Konten.
»Stecken wir fest?«, fragte Mari.
»Ich weiß nicht«, sagte Rico nachdenklich. »Im Brunnen war der Zugang zu den Systemen fast aller dieser Banken gelagert. Aber das ist eine Weile her.«
In der nächsten Stunde schlummerte Lia auf ihrem Stuhl vor sich hin, Mari las Gallaghers Dateien und Rico schuftete am Computer.
Die Schutzmauern der Banken brachen eine nach der anderen ein.
»Nur zu zwei Banken gibt es keinen Zugang im Brunnen. Wenn ich selbst danach grabe, dauert es Tage. Aber wir haben die Kennziffern für vier Banken«, sagte Rico.
Plötzlich war Lia wieder wach.
Sie überflogen die Kontobewegungen. Es handelte sich hauptsächlich um kleine Summen, und Bezahler und Empfänger wirkten unauffällig. Materiallieferanten, Kosten für Anzeigen, Zuwendungen an die Parteiorganisationen.
»Zu langsam«, sagte Rico.
Er speicherte die Kontoauszüge auf seinem Computer und ordnete sie in verschiedenen Statistiken. Die normalen monatlichen Überweisungen waren rasch zu erkennen. Lia und Mari suchten im Internet Informationen über Empfänger und Einzahler und verglichen sie mit den Kontobewegungen. Allmählich schrumpfte die Liste auf eine kleine Zahl von Überweisungen zusammen, für die es auf den ersten Blick keine Erklärung gab.
»Einiges wirkt verdächtig«, meinte Mari nachdenklich.
Wahrscheinlich ging es bei einem Teil der Überweisungen um Ausgaben, die die Parteiführung verschleiern wollte. Es handelte sich jedoch vorwiegend um kleine Summen, jeweils nur einige zehn Pfund.
»Ein Name taucht regelmäßig auf«, stellte Mari fest. »Penitent Catering.«
An den Empfänger mit dem seltsamen Namen waren jedoch nicht nur zehn Pfund, sondern mehrmals einige tausend Pfund überwiesen worden, jeweils im Abstand von zwei Monaten. Das Konto des Empfängers befand sich bei einer amerikanischen Bank namens Danford.
Sie suchten die Firma in den internationalen Unternehmensregistern. Als Aufsichtsratsvorsitzender von Penitent Catering war Thomas Andrew Gallagher aus London eingetragen;
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