Die Frau ohne Gesicht
Probleme«, sie schwieg kurz und blickte zum Fenster hinaus. »Das heißt, Arthur hatte Probleme«, fügte sie hinzu. »Die wurden dann auch meine.«
Erneut trank sie Tee. Die Stille wurde nur durch das Geknatter im Nebenzimmer unterbrochen.
Lia versuchte, ihre Gedanken in Fragen zu kleiden, wusste aber, wie seltsam sie klingen würden.
Dein Exmann ist ein Bösewicht. Was für einer?
»Ich weiß nicht, wie ich nach dem fragen soll, was ich wissen will«, sagte sie zögernd.
Sarah lächelte.
»Frag einfach frei von der Leber weg.«
Lia schluckte.
»Ich glaube, dass Arthur anders ist, als er sich gibt. Unter der Oberfläche liegt etwas Unangenehmes. Aber ich weiß nicht, was.«
Sarah starrte auf ihre Tasse und wog Lias Worte ab. Sie wollte nachschenken, doch Lia schüttelte den Kopf.
»Kann sein, dass er sich geändert hat. Aber während unserer Ehe stimmte einiges nicht mit ihm«, sagte Sarah schließlich.
Lia spürte, wie schwer ihr die Worte fielen.
»Davon weiß nur meine Schwester, sonst niemand.«
Sarah umklammerte ihre Teetasse, die so ins Zittern geriet, dass sie sie abstellen musste. »Ich hoffe, dass Arthur sich geändert hat, denn als ich mit ihm zusammenlebte, war er ein brutales Schwein. Er hat mich in den letzten Jahren unserer Ehe so schlimm misshandelt, dass ich drei Mal ins Frauenhaus fliehen musste.«
Lia holte tief Luft. Alle Puzzlestücke fielen auf ihren Platz. Ihr Eindruck von Sarah Hawkins’ Wesen und von ihrem Zuhause. Alles, was sie über Arthur Fried wusste.
»Willst du mehr hören?«, fragte Sarah.
Lia nickte.
»Wo ist dein Aufnahmegerät? Du hast doch eines, wenn du für die Zeitung schreibst.«
»Ich habe keines. Ich möchte mir deine Geschichte anhören, um entscheiden zu können, was zu tun ist. Ob ein Zeitungsbericht daraus wird – oder etwas anderes.«
»Na schön, mir soll es egal sein.«
Sarah erzählte, sie habe erwartet, dass sie nach dem Ende ihrer Ehe mit Arthur Fried dazu befragt werden würde. Aber niemand sei zu ihr gekommen.
»Vielleicht liegt es daran, dass Arthur während unserer Ehe noch unbekannt war.«
Die Fair Rule hatte damals so wenig Anhänger, dass sie bei den landesweiten Umfragen das Schlusslicht bildete und Fried nicht zu den Fernsehdebatten der Parteiführer eingeladen wurde. Sarah hatte sich insgeheim darüber gefreut, dass ihr Mann mit seinem großartigen Selbstbild scheiterte. Aber diese Frustration hatte zuvor auch dazu geführt, dass er zu Hause durchdrehte und Sarah verprügelte.
»Es kann sein, dass dich niemand nach eurer Ehe gefragt hat, weil nur wenige davon wissen. Sie ist nicht einmal im offiziellen Melderegister eingetragen«, erklärte Lia.
Sarah sah sie verwundert an. »Die Heirat und die Scheidung sind ganz offiziell abgelaufen, wir haben auf dem Standesamt alle entsprechenden Formulare unterschrieben.«
»Ich nehme an, Arthur hat dafür gesorgt, dass die Eintragungen getilgt wurden«, meinte Lia.
»So muss es sein. Bestimmt bereut er nicht einmal, was er mir angetan hat.«
An ihren klaren Worten merkte Lia, dass sie jahrelang über die Sache nachgedacht hatte.
»Meine Schwester meint, irgendwer würde sicher gern ein Skandalbuch über unsere Ehe schreiben. Aber ich will das Ganze nicht aufblasen.«
Von den sieben Jahren ihrer Ehe waren die ersten drei erträglich, die letzten vier jedoch die Hölle gewesen. Da Tausende von Frauen dasselbe durchmachten, hatte Sarah mit dem Gedanken gespielt, irgendwann öffentlich über das Thema zu sprechen. Gewalttätige Männer durften nicht ungestraft davonkommen.
Fried hätte Sarah anfangs ein oder zwei Mal im Monat geschlagen. Häufig dann, wenn er betrunken gewesen sei und Sex gewollt hätte, worauf Sarah, wegen seiner Aggressivität in solchen Momenten, keine Lust gehabt hätte. »Aber bald brauchte er nicht einmal mehr Alkohol dafür. Er konnte jederzeit zuschlagen.«
Sarah sprach mehr als zwei Stunden lang. Lia hörte gespannt, aber auch bedrückt zu. Die Situation war absurd: Während die Frau sich ihre traurige Geschichte vom Herzen redete, war im Hintergrund die ganze Zeit das Geratter des Computerspiels zu hören.
Arthur Fried hatte Sarah in der Regel zuerst hart zu Boden gestoßen. Manchmal hatte sie den Schlag nicht kommen sehen und sich schon beim Sturz blaue Flecken geholt. Danach musste sie auf allen vieren hocken, während Fried sie umkreiste und zuschlug, so oft es ihm gefiel.
»Meistens mit den Fäusten. Manchmal auch mit dem Gürtel. Auf den Rücken und die
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