Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
in Einklang mit dem innern Leben, das ihre Person beherrschte. Die reichen Flechten ihres Haares bildeten einen hohen Kranz auf ihrem Kopf, den kein weiterer Schmuck zierte: sie schien den Toilettekünsten für immer den Abschied gegeben zu haben. So konnte man an ihr keine der koketten kleinen Berechnungen entdecken, die so viele Frauen verdirbt. So bescheiden indessen auch ihr Mieder war, es konnte ihre zierliche, anmutige Taille nicht verbergen. Der Luxus ihres langen Kleides bestand in einem überaus vornehmen Schnitt; und wenn man von der Anordnung eines Stoffes auf bestimmte Ideen schließen darf, könnte man sagen, daß die zahlreichen schlichten Falten ihres Gewandes ihr einen stolzen Adel verliehen. Die unzerstörbaren Schwächen der Frau verriet sie vielleicht trotzdem durch die peinliche Sorgfalt, die sie auf ihre Hände und ihre Füße verwandte; obwohl sie diese indessen mit einem gewissen Vergnügen zeigte, wäre es der boshaftesten Rivalin schwergefallen, ihre Handbewegungen affektiert zu finden; sie schienen völlig unwillkürlich oder kindlichen Gewohnheiten zu entstammen. Dieser Rest von Koketterie wurde überdies aufgewogen durch die anmutigste Unbekümmertheit. Diese Vielzahl von Eigenschaften, diese Gesamtheit von Details, die eine Frau häßlich oder schön, anziehend oder abstoßend machen, können nur angedeutet werden, besonders wenn, wie bei Madame d'Aiglemont, die Seele das Band aller Einzelheiten ist und ihnen eine entzückende Einheit aufprägt. So stimmte auch ihre Haltung völlig zu dem Charakter ihres Gesichtes und ihrer äußeren Erscheinung. Nur in einem gewissen Alter können die Frauen, und auch da nur einige auserwählte, ihren Bewegungen eine Art Sprache geben. Ist es der Kummer, ist es das Glück, das der Frau von dreißig Jahren, der glücklichen oder unglücklichen Frau, das Geheimnis dieser beredten Haltung verleiht? Das wird immer ein lebendiges Rätsel sein, das jeder nach seinen Wünschen, seinen Hoffnungen oder seinem System zu lösen versucht. Die Art, wie die Marquise ihre Ellbogen auf die Stuhllehnen stützte und die Fingerspitzen der beiden Hände wie spielerisch zusammenlegte; die Biegung ihres Halses, das Sich-gehen-Iassen ihres müden, aber geschmeidigen Körpers, der wie zerbrochen zart in dem Sessel lag; die ungezwungene Stellung ihrer Beine, ihre ganze lässige Haltung, ihre matten Bewegungen, alles offenbarte eine Frau, die kein Interesse im Leben hat, die die Wonnen der Liebe nicht gekannt, aber von ihnen geträumt hat, und die sich unter der Last ihrer Erinnerungen beugt; eine Frau, die seit langem an der Zukunft oder an sich selber verzweifelt ist; eine Frau ohne Beschäftigung, die die Leere für das Nichts nimmt. Charles de Vandenesse bewunderte dieses prächtige Bild, aber wie das Erzeugnis einer geschickteren Manier, als man sie bei gewöhnlichen Frauen antrifft. Er kannte d'Aiglemont. Beim ersten Blick auf diese Frau, die er noch nicht gesehen hatte, erkannte der junge Diplomat ein zu starkes Mißverhältnis, eine zu ausgeprägte Unvereinbarkeit (gebrauchen wir den juristischen Ausdruck) zwischen diesen beiden Menschen, als daß es der Marquise möglich sein konnte, ihren Gatten zu lieben. Indessen, Madame d'Aiglemont führte einen untadeligen Lebenswandel, und ihre Tugend verlieh allen Geheimnissen, die ein Beobachter hinter ihr suchen konnte, einen noch höheren Preis. Als seine erste Überraschung überwunden war, suchte Vandenesse nach der besten Art, Madame d'Aiglemont anzusprechen, und nahm sich mit einer nicht allzu ungewöhnlichen Diplomatenlist vor, sie in Verlegenheit zu setzen, um zu erfahren, wie sie eine Keckheit aufnehmen würde.
»Madame«, sagte er, indem er sich zu ihr setzte, »eine glückliche Indiskretion hat mich wissen lassen, daß ich, ich weiß nicht durch welchen Vorzug, das Glück habe, von Ihnen ausgezeichnet zu werden. Ich bin Ihnen um so größeren Dank schuldig, als ich niemals Gegenstand einer solchen Gunst geworden bin. Sie werden also für einen Fehler von mir verantwortlich sein. Von jetzt an will ich nicht mehr bescheiden sein ...« – »Da hätten Sie unrecht«, erwiderte sie heiter; »die Eitelkeit muß man denen überlassen, die nichts anderes aufzuweisen haben.«
Es entspann sich nunmehr zwischen der Marquise und dem jungen Mann ein Gespräch, das, wie üblich, in einem Zug eine Menge Gegenstände berührte: Malerei, Musik, Literatur, Politik, Männer, Ereignisse und Sachen. Dann kamen sie mit unmerklicher
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