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Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Wendung auf das ewige Thema aller Plaudereien in Frankreich und im Ausland: Liebe, Empfindung und Frauen.
    »Wir sind Sklavinnen.« – »Sie sind Königinnen.«
    Die mehr oder weniger geistreichen Reden, die Charles und die Marquise austauschten, konnten auf diesen einfachen Ausdruck aller gegenwärtigen und künftigen Gespräche über diesen Gegenstand zurückgeführt werden. Und diese zwei Sätze besagen in einem bestimmten Moment nie etwas anderes als: ›Lieben Sie mich. – Ich werde Sie lieben.‹
    »Madame«, rief Charles de Vandenesse verhalten, »Sie lassen es mich lebhaft bedauern, daß ich Paris verlassen muß. Ich werde gewiß in Italien keine so geistvolle Stunde finden, wie es diese gewesen ist.« – »Vielleicht treffen Sie das Glück dort, und das ist mehr wert als all die wahren oder falschen geistreichen Gedanken, die allabendlich in Paris ausgesprochen werden.«
    Als Charles sich von der Marquise trennte, hatte er die Erlaubnis, sie zu besuchen, um sich von ihr zu verabschieden. Er schätzte sich, als er sich zur Ruhe begab, sehr glücklich, sein Begehren in aufrichtiger Form vorgebracht zu haben, und tags darauf war es ihm den ganzen Tag über unmöglich, das Bild dieser Frau zu verjagen. Bald fragte er sich, warum die Marquise ihn ausgezeichnet hatte; was für Absichten hinter ihrem Verlangen, ihn wiederzusehen, steckten; und er versuchte sich in unerschöpflichen Erklärungen. Bald glaubte er, die Motive dieses Interesses gefunden zu haben; er berauschte sich an Hoffnungen und ernüchterte sich wieder, je nach der Art, wie er diesen höflichen Wunsch, der in Paris so üblich ist, auslegte. Bald bedeutete er alles, bald nichts. Kurz, er wollte der Neigung, die ihn zu Madame d'Aiglemont zog, widerstehen; aber er ging hin. Es gibt Gedanken, denen wir gehorchen, ohne sie zu kennen; sie sind in uns, und wir wissen es nicht. Diese Erwägung mag mehr paradox als wahr scheinen; aber wer ehrlich ist, findet tausend Beweise für sie in seinem Leben. Als Charles sich zur Marquise begab, gehorchte er einem der von vornherein feststehenden Pläne, die in unserer Erfahrung und der bewußten Errungenschaft unseres Geistes nachher bloß zu ihrer deutlichen Entwicklung gelangen. Eine Frau von dreißig Jahren besitzt für einen jungen Mann unwiderstehlichen Zauber; daher ist nichts natürlicher, nichts stärker gesponnen und fester vorherbestimmt als die tiefe Neigung zwischen einer Frau wie der Marquise und einem jungen Mann wie Vandenesse, für die wir in der Gesellschaft so viele Beispiele finden. Ein junges Mädchen hat in der Tat zu viele Illusionen, zuviel Unerfahrenheit, und zuviel hat mit ihrer Liebe das Geschlecht zu tun, als daß diese Liebe einem jungen Mann schmeicheln könnte; eine Frau aber kennt die ganze Tragweite der Opfer, die sie bringt. Wo die eine von der Neugier, von Verlockungen, die nichts mit der Liebe zu tun haben, getrieben wird, gehorcht die andere einem bewußten Gefühl. Die eine gibt nach, die andere wählt. Ist nicht diese Wahl schon eine außerordentliche Schmeichelei? Die geprüfte Frau, die mit einem Wissen ausgerüstet ist, das sie fast immer teuer, mit ihrem Unglück, erkauft hat, scheint, wenn sie sich hingibt, mehr als sich selbst zu geben; das junge Mädchen hingegen, das noch unwissend und gläubig ist, weiß von nichts, kann nichts vergleichen, nichts recht einschätzen; sie empfängt die Liebe und studiert sie. Die eine leitet und lehrt uns in einem Alter, wo man sich gerne führen läßt, wo der Gehorsam ein Vergnügen ist; die andere will alles erfahren und zeigt sich da naiv, wo die erste zärtlich ist. Jene gewährt dem Manne nur einen einzigen Triumph; diese zwingt ihn zu unaufhörlichen Kämpfen. Die erste hat nur Tränen und Wonnen, die andere hat Wollust und Reue. Damit ein junges Mädchen Geliebte wird, muß sie ganz verdorben sein, und der Mann verläßt sie mit Abscheu, während eine Frau tausend Mittel hat, um zugleich ihre Macht und ihre Würde zu behaupten. Die eine ist zu unterwürfig und gewährt dem Manne die eintönige Sicherheit der Ruhe, die andere hat zuviel zu verlieren, um nicht die tausend Verwandlungen der Liebe zu fordern. Die eine entehrt sich ganz allein, die andere tötet euch zuliebe eine ganze Familie. Das junge Mädchen hat eine einzige Koketterie und glaubt alles getan zu haben, wenn es seine Kleider ablegt; die Frau hingegen hat ihrer unzählige und verbirgt sich unter tausend Schleiern; kurz, sie schmeichelt allen Formen der

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