Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
soll vernünftig mit mir reden und mir die Sache erklären. Alles in allem, vielleicht hab ich unrecht... Meiner Treu, ich bin ein Esel, daß ich mir den Kopf zerbreche! Was liegt mir denn daran?‹
Der Notar kam nach Hause und legte das Rätsel seiner Notarin vor, indem er ihr Punkt für Punkt die Ereignisse des Abends berichtete.
»Lieber Crottat, Seine Exzellenz hat völlig recht gehabt, als er dir sagte, du hättest nur Torheiten gemacht und Dummheiten gesagt.« – »Wieso?« – »Lieber Mann, das würde ich dir sagen, wenn es dich dazu brächte, es morgen nicht wieder gerade so zu machen. Ich rate dir nur, in Gesellschaft nie von etwas anderm als von Geschäften zu sprechen.« – »Wenn du es mir nicht sagen willst, frage ich morgen den ...« – »Du lieber Himmel, die dümmsten Leute geben sich Mühe, solche Sachen verborgen zu halten, und du glaubst, ein Botschafter würde sie dir sagen! Aber Crottat, ich habe dich nie so einfältig gesehen.« – »Danke, meine Teure!«
5. Die zwei Begegnungen
Ein Ordonnanzoffizier Napoleons, den wir nur den Marquis oder den General nennen werden und der es unter der Restauration zu einem großen Vermögen gebracht hatte, war nach Versailles gekommen, um dort die schöne Jahreszeit zu verbringen. Er wohnte in einem Landhaus, das zwischen der Kirche und dem Tor von Montreuil liegt, an dem Wege, der zur Straße nach Saint-Cloud führt. Sein Dienst am Hofe erlaubte ihm nicht, sich von Paris zu entfernen.
Dieser Pavillon, einst gebaut, um den flüchtigen Liebschaften eines großen Herrn Unterschlupf zu gewähren, lag auf einem weiträumigen Grundstück. Die Gärten, die ihn umgaben, hielten ihn rechts und links in gleichem Abstand von den ersten Häusern von Montreuil und den Hütten, die um das Stadttor herum standen, fern; so genossen die Bewohner dieser Besitzung, ohne zu sehr von der Welt abgeschieden zu sein, unmittelbar vor der Stadt alle Freuden der Einsamkeit. Es war ein seltsamer Widerspruch, daß die Fassade und das Eingangstor des Gartenhauses unmittelbar am Weg lagen, der vielleicht früher wenig benutzt war. Diese Annahme erscheint wahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß er an dem köstlichen Pavillon endigt, den Ludwig XV. für Mademoiselle de Romans erbaute, und daß die Besucher von Versailles, ehe sie dahin kommen, hier und da mehr als ein ›Kasino‹ sehen können, dessen innere und äußere Ausstattung von den geschmackvollen Ausschweifungen unserer Vorfahren erzählt, die bei all der Zügellosigkeit, deren man sie beschuldigt, trotzdem das Dunkel und das Geheimnis suchten.
An einem Winterabend waren der Marquis, seine Frau und seine Kinder allein in diesem einsamen Haus. Ihre Diener hatten die Erlaubnis erhalten, in Versailles die Hochzeit eines der Ihren zu begehen; und in der Annahme, daß die Weihnachtsfeier, die sie mit diesem Feste verbanden, sie bei ihrer Herrschaft genügend entschuldigen würde, machten sie sich keine Skrupel, etwas länger bei dem Fest zu verweilen, als die Hausordnung ihnen erlaubte. Da indessen der General als ein Mann bekannt war, der sein Wort mit unbeugsamer Redlichkeit hielt, waren die Säumigen nicht ohne Gewissensbisse bei ihrem Tanze, als die Stunde der Heimkehr gekommen war. Es hatte elf Uhr geschlagen, und noch war keiner der Dienstboten heimgekommen. In dem tiefen Schweigen, das auf dem Lande herrschte, hörte man den Nordwind durch die schwarzen Äste der Bäume pfeifen, um das Haus toben oder die langen Wege durchbrausen. Der Frost hatte die Luft so rein, den Boden so hart gemacht und das Straßenpflaster durchdrungen, daß alles jenen spröden klirrenden Klang hatte, der uns immer wieder überrascht. Der schwere Schritt eines verspäteten Zechers oder das Rasseln einer Kutsche, die nach Paris zurückfuhr, hallte lauter und war aus größerer Entfernung zu hören als sonst. Das welke Laub, das durch plötzliche Windstöße aufgewirbelt wurde, raschelte auf den Steinen im Hofe und lieh der Nacht, wenn sie verstummen wollte, eine Stimme. Kurz, es war eine der bitterkalten Nächte, wo unser Egoismus sich ein nutzloses Bedauern der Armen oder der zu dieser Zeit Reisenden abzwingt und die uns den Kaminwinkel so behaglich machen. In diesem Augenblick kümmerte sich die Familie, die im Salon beisammen war, weder um die Abwesenheit der Dienerschaft noch um die Obdachlosen, noch um die Poesie, die solch ein langer Winterabend in sich birgt. Ohne überflüssiges Philosophieren überließen sich Frau und Kinder, die sich
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