Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
ganze Zeit Jagd auf uns gemacht.« – »Und ich weiß nicht, warum es uns nicht eingeholt hat«, entgegnete der alte Soldat, »denn es ist ein besserer Segler als Ihre verdammte ›Sankt Ferdinand‹« – »Er wird Havarie gehabt, ein Leck bekommen haben ...« – »Er holt uns ein!« rief der Franzose. »Er ist ein kolumbischer Korsar«, sagte ihm der Kapitän ins Ohr. »Wir sind noch sechs Meilen vom Lande entfernt, und der Wind läßt nach.« – »Er fährt nicht, er fliegt, als ob er wüßte, daß ihm in zwei Stunden seine Beute entwischt. Welche Tollkühnheit!« – »Da!« rief der Kapitän aus; »ah! er heißt nicht umsonst ›Othello‹. Er hat kürzlich eine spanische Fregatte in den Grund gebohrt und hat doch nicht mehr als dreißig Kanonen. Ich fürchtete niemand außer ihm, denn ich wußte, daß er in den Antillen herumstreicht... Ah, ah!« fuhr er nach einer Pause fort, während deren er auf die Segel seines Schiffes blickte; »der Wind kommt auf, wir werden es schaffen. Wir müssen es, der ›Pariser‹ wäre erbarmungslos.« – »Auch der schafft es!« versetzte der Marquis.
Die ›Othello‹ war nicht mehr als drei Meilen entfernt. Obgleich die Mannschaft die Unterhaltung des Marquis mit Kapitän Gomez nicht gehört hatte, hatte das Auftauchen des Seglers den größten Teil der Matrosen und Passagiere in die Nähe der beiden Redenden geführt; doch die meisten hielten die Brigg für ein Handelsschiff und sahen es mit Interesse näher kommen, als plötzlich ein Matrose lauthals ausrief: »Beim heiligen Jakob! Wir sind verloren, da ist der ›Pariser Kapitän‹...«
Bei diesem schrecklichen Namen verbreitete sich Entsetzen auf der Brigg, und ein unbeschreibliches Durcheinander entstand. Der spanische Kapitän flößte seinen Matrosen durch seine Stimme eine momentane Tatkraft ein, und da er in dieser Gefahr um jeden Preis das Land erreichen wollte, ließ er alle obern und untern Beisegel setzen, Steuerbord und Backbord, um dem Winde die ganze Fläche der Leinwand, mit der seine Rahen betakelt waren, zu bieten. Aber all diese Handgriffe wurden unter großen Schwierigkeiten ausgeführt; sie ließen natürlicherweise das bewunderungswürdige Zusammenspiel vermissen, das bei Kriegsschiffen so besticht. Obgleich die ›Othello‹ vermöge der Stellung ihrer Segel wie eine Schwalbe flog, gewann sie anscheinend so wenig Raum, daß die unglücklichen Franzosen sich einer angenehmen Täuschung hingaben. Plötzlich, in dem Augenblick, wo die ›Sankt Ferdinand‹ nach unerhörten Anstrengungen, dank der geschickten Manöver, zu denen Gomez durch Stimme und Gebärde anspornte, neuerdings in Fahrt gekommen war, legte der Steuermann durch eine falsche, wahrscheinlich beabsichtigte Bewegung des Steuers die Brigg quer vor den Wind. Die Segel, die den Wind nun von der Seite bekamen, schlugen so gewaltsam hin und her, daß die Brigg sich drehte und den Wind nun von vorn hatte, die Masten brachen und das Schiff vollständig außer Kontrolle geriet. Eine rasende Wut bemächtigte sich des Kapitäns und ließ ihn weißer werden als seine Segel: mit einem Satz sprang er auf den Steuermann los und stach so wild mit dem Dolch nach ihm, daß er ihn zwar verfehlte, ihn aber ins Meer stürzte. Dann ergriff er das Steuer und versuchte, dem entsetzlichen Wirrwarr, das sein braves tapferes Schiff rebellisch machte, abzuhelfen. Tränen der Verzweiflung traten in seine Augen; denn ein Verrat, der uns um einen Erfolg bringt, welcher unserer eigenen Kraft zu danken wäre, trifft uns grausamer als ein unmittelbar drohender Tod. Aber je mehr der Kapitän fluchte, desto weniger geschah das Erforderliche. Er gab selbst den Alarmschuß ab, in der Hoffnung, an der Küste gehört zu werden. In diesem Augenblick antwortete der Korsar, der mit einer Geschwindigkeit herbeikam, die alle Hoffnungen zunichte machte, indem er gleichfalls eine Kanone abfeuerte, deren Kugel etwa zehn Klafter von der ›Sankt Ferdinand‹ ins Wasser schlug. »Alle Wetter!« rief der General, »war das gezielt! Sie scheinen eigens dazu gemachte Schiffskanonen zu haben.« Ein Matrose versetzte darauf: »Ja, sehen Sie, der da, wenn der redet, muß man stille sein! Der ›Pariser‹ würde sich selbst vor einem englischen Schiff nicht fürchten.« – »Es ist alles aus!« rief in höchster Verzweiflung der Kapitän, der durch sein Fernrohr noch nichts vom Lande entdecken konnte; »wir sind noch viel weiter von Frankreich entfernt, als ich glaubte.« Der General
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