Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
aussehen ließen,
ihm eine erneute Standpauke halten und ihn auf den Platz eines kleinen,
unbedeutenden Würstchens in dieser riesigen Fleischerei, die sich Universum
nannte, verweisen. Aber sind nicht im Universum alle Würstchen winzig? Und unbedeutend?
Auch das Größte?
»Wie ich sehe, haben Sie verstanden, was ich meinte.« Er
grinste und die Haut in seinem Gesicht warf noch mehr Falten als gewöhnlich. »Wenn
es Sie interessiert, wie es weitergeht, finden Sie mich morgen Abend wieder
hier«, sagte der Alte, zwinkerte ihm schelmisch zu und verließ die Lounge.
Robert winkte der Kellnerin,
die ihn auch sofort kokett anblinzelte. Ein kleiner Whisky zum Abschluss des
Tages musste sein.
Zehn Minuten vor der üblichen Zeit saß Robert am nächsten
Abend schon in der Lounge an dem Platz, der in den letzten Wochen und Monaten
zu ihrem Stammplatz geworden war, ohne dass sie es gewollt hatten.
Der Alte kam, sah, und flüsterte Danielle etwas ins Ohr,
wobei sein Gesicht beinahe vollständig in ihrem Haar verschwand. Sie lachte und
hauchte ihm ebenfalls etwas zu. Er nahm noch eine Nase voll von ihrem Parfüm
und genoss das ungetrübte Panorama ihres Ausschnitts. Als er sich von beidem
einen kleinen Vorrat erschnüffelt und ersehen hatte, der immerhin bis zum zweiten
Tee bzw. Bier vorhalten musste, lächelte er zufrieden und steuerte auf den Tisch
des Mannes zu, den er immer seinen jungen Freund nannte.
»Ich sehe, Sie haben das Interesse an meiner Geschichte
nicht verloren«, sagte er mit einem amüsierten Unterton. »Obwohl Sie sie nicht ganz
glauben wollen.«
Danielle brachte den Tee und Robert verfolgte fasziniert die
Geschmeidigkeit, mit der sie ihre Schritte setzte. Er beugte sich weit über den
Tisch. »Erzählen Sie schon! Ich will unbedingt wissen, wie es ausging.«
»Die Sache«, meinte der Alte, »ist rasch zu Ende erzählt.«
Robert sah ihn an, als gelänge es ihm, das Ende der
Geschichte von dessen Gesicht, wie von einer vergilbten und zerknitterten Schriftrolle
abzulesen, bevor der Greis überhaupt noch ein Wort gesagt hatte.
»Ihr jungen Leute! Seit nahezu drei Monaten erzähle ich
Ihnen nun schon von dieser Begebenheit und jetzt kommt es Ihnen auf ein paar
Stunden an. Aber Sie haben recht. In zwei Tagen werden wir am Phobos-Raumdock
festmachen und es wird Zeit, dass ich meine Ausführungen zu Ende bringe.«
»Bitte!«
»Sie müssen wissen, Karen hatte ein ausgezeichnet
aufgeräumtes Privatarchiv, das einer Kommandantin wirklich zur Ehre gereichte,
und dort fand sie eine Aufzeichnung des Gesprächs, das sie von der Erde aus via
Telekonferenz mit Shannon auf Tsiolkovski geführt hatte; und zwar die
Originalaufzeichnung, so wie das Gespräch tatsächlich stattgefunden hatte.«
»Dann gab es also zwei unterschiedliche Aufzeichnungen vor
Gericht. Damit stand also Aussage gegen Aussage bzw. Beweismittel gegen
Beweismittel«, unterbrach Robert.
»Genau. Das Gericht stellte folglich natürlich die Frage
nach der Authentizität der Beweismittel, da ja nur eine Aufzeichnung die echte
sein konnte.«
»Was, wenn es ein zweites Gespräch zu einem anderen
Zeitpunkt gegeben hat?«
»Hat es nicht. Die Anzahl der Gespräche wurden genau protokolliert
und das mehrfach. Wollte jemand hier ein zusätzliches einfügen oder dort eines
aus den Aufzeichnungen entfernen, so wäre dieser Jemand dazu gezwungen gewesen,
dies an mehreren verschiedenen Orten zu tun, was nicht nur sehr aufwendig,
sondern auch äußerst gefährlich gewesen wäre.«
»Ich verstehe.« Robert beobachtete bei diesen Worten den
Alten genau, konnte jedoch keinerlei Regung in seinem Gesicht entdecken.
»Das Gericht zog also einen Sachverständigen hinzu – einen
gewissen Andy Schott. Sie erinnern sich?«
Robert nickte.
»Nein, es ist aber nicht das, was Sie jetzt vielleicht
denken mögen. Andy hat nicht aus Liebe oder Loyalität zu seiner ehemaligen
Kommandantin falsch Zeugnis abgelegt. Nein, hätte er auch nie getan. Er war
Techniker, ein Mann mit Prinzipien. Er wurde vom Gericht beauftragt, die Echtheit
der Aufzeichnungen zu untersuchen, was für ihn als Absolventen einer
technischen Universität nun wirklich keine große Herausforderung darstellte.
Erst schienen beide Aufzeichnungen denselben Zeitstempel zu tragen, doch – und
die meisten wussten das offensichtlich nicht – Audio- und Videonachrichten tragen
nicht nur eine externe, für jedermann sichtbare Zeitsignatur, sondern Sie haben
auch noch zwischen der eigentlichen
Weitere Kostenlose Bücher