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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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Flucht geschlagen, sich latent in ihr Innerstes zurückgezogen hatten,
um einer neuerlichen Gelegenheit des Ausbruchs zu harren. Lamin, weder
ausgebildeter Therapeut noch eingebildeter Analytiker, beschränkte seine Rolle
aufs Zuhören, fand darüber hinaus aber auch, wenn er es für hilfreich oder
notwendig erachtete, beruhigende und aufmunternde Worte. Plötzlich sagte er: »Ich
wollte dir noch danken.«
    »Mir? Warum mir?« Karen war überrascht.
    »Da ich bis heute keine Nachricht von Mission Control
erhalten habe, nehme ich an, du hast meinen Schwindel zusammen mit der Unmenge
an Schmerzmitteln, die ich brauche, damals nicht gemeldet – so wie du es
angekündigt hattest.«
    Karen dachte eine Weile nach, ehe es ihr wieder einfiel. »Ich
erinnere mich. Das war in einem anderen Leben, denke ich. – Ja, das heißt nein,
ich habe es damals nicht gemeldet.«
    »Das war ausgesprochen … nett von dir.«
    »Wem hätte es schon genützt? Und Ersatz hätten die sowieso
keinen schicken können.«
    »Das nicht, aber …«
    »Nichts aber. Vergiss es. Ich war nie in deiner Kabine und
damit hatte ich auch keine Gelegenheit dein ›Geheimnis‹ herauszufinden.«
    Er sah sie lange an.
    »Wie geht es eigentlich dir?«, wollte Karen wissen. »Wir
reden zwar täglich miteinander, schon seit Wochen, aber immer geht es nur um
mich und meine Gefühle.«
    »Das mit dem wachstumshemmenden Schmerzmittel funktioniert besser,
als ich ursprünglich gedacht habe. Ich bemerke auch so gut wie keine Nebenwirkungen,
außer etwas Müdigkeit. Nur –« Er machte eine Pause, verzog seinen Mund. »Die
Abstände, in denen ich es brauche, verkürzen sich langsam. Langsam, aber stetig,
und wenn wir nicht bald ankommen, dann weiß ich nicht, ob mein Vorrat
ausreichen wird.«
    Karen sagte nichts.
    »Ich nehme jetzt schon weniger von dem Mittel, als ich einem
Patienten in gleicher Situation verabreichen würde. Was aber, wenn es trotzdem
nicht bis zur Erde reicht? – Heute tut es mir leid, dass ich mir den Platz am
Schiff erschlichen habe, aber vermutlich wird es meine letzte jugendliche
Leichtsinnigkeit gewesen sein, in die ich mich da mit neunundfünfzig gestürzt
habe.« Er schmunzelte.
    »Mir tut es nicht leid.« Karen legte ihre Hand auf seinen
Oberschenkel. »Glaubst du eigentlich, dass sich irgendjemand um das schert, was
wir hier machen?«, platzte sie mit einem Mal heraus.
    Lamin war auf den raschen Themenwechsel nicht vorbereitet. »Die
Medien haben doch weltweit davon berichtet – oder nicht?«
    »So will man es uns zumindest weiß machen. Ich meine aber,
ob es irgendjemanden persönlich trifft, ob irgendjemand einen persönlichen
Vorteil davon hat, dass wir auf dem Mars gelandet sind?«
    »Karen, bitte! Du solltest dich jetzt wirklich nicht mit
diesen philosophischen Fragen herumschlagen.«
    »Glaubst du es war … umsonst? Sinnlos? Die besten Jahre
unseres Lebens vergeudet? Für nichts? Alles für ein paar hundert Kilo Marsgestein
und das persönliche Erlebnis, sich sechzehn Monate wie eine Sardine in der Dose
zu fühlen?«
    »Karen! Du darfst diese Fragen nicht stellen!«
    »Tu ich aber und auch du als Arzt wirst es mir nicht
verbieten.«
    Das Gespräch lief aus dem Ruder. Dummerweise. Anstatt sich von
den dunklen, depressiven Gedanken zu entfernen, steuerte Karen mit äußerster
Kraft geradewegs auf jenen Strudel zu, der tiefer und tiefer in ihr Innerstes
führte.
    »Denkst du, Edmund Hillary hat sich gefragt, ob es sinnvoll
war, auf den Mount Everest zu klettern, nur um oben festzustellen, dass es dort
zuwenig Sauerstoff gab? Denkst du Roald Amundsen hat sich gefragt, ob es
sinnvoll war, in einem winzigen Schiff die halbe Welt zu umkreisen, nur um dann
in einer Saukälte sich als erster seinen Arsch am Südpol abzufrieren?« Lamin
wurde laut. »Denkst du wirklich, Neil Armstrong hat sich gefragt, ob sein beschissener
Flug zum Mond und die Landung im Meer des Staubes sinnvoll waren?«
    »Vielleicht hat er es getan und wir wissen es bloß nicht.
Wir wissen so Vieles nicht. Vielleicht gab er sich darauf eine Antwort, die er
selbst nicht hören hatte wollen. Irgendeinen Grund wird er schon gehabt haben,
warum er nach seinem Mondflug das Licht der Öffentlichkeit mied, wie ein
Gesunder die Pestgrube.«
    »Vielleicht hat auch unser Flug einmal positive Auswirkungen;
wenn nicht sofort, vielleicht in ein paar Jahren.«
    »Vielleicht, vielleicht! Immer höre ich vielleicht.«
Unterschwelliger Zorn brannte in ihrer Stimme.
    »Falls es wirklich

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