Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
Immigration‹-Stempel in seinen Pass. Fasziniert amüsierte
sich Robert über die Tatsache, dass auf dem Mars, wie es den Anschein hatte,
Englisch gesprochen wurde. Offensichtlich die Sprache der Ureinwohner, aber von
diesen gab es vermutlich – so wie immer, wenn der Homo sapiens wo aufzukreuzen
pflegte – nach sehr kurzer Zeit nur noch sehr wenige. Mit großer Wahrscheinlichkeit
gar keine mehr. Er ging etwa fünfzig Meter durch einen mit großzügigen
Panoramafenstern ausgestatteten Korridor zu einem der drei Flugsteige, von
denen die Shuttles zur Oberfläche starteten. Leuchtend, aber nicht sonderlich
rot, schien der Mars durch die Scheiben. Über seinem Flugsteig – Gate M2 – war eine
Anzeige, die über die aktuelle Geschwindigkeit Auskunft gab, mit der der Mond und
damit auch das Raumdock den Planeten umkreiste: »Sie umkreisen den Mars mit
7704 Kilometern in der Stunde«, wollte der Geschwindigkeitsmesser in diesem
Augenblick wissen. Daneben hatte ein Spaßvogel ›Speed kills!‹ in aggressivem
Zinnober gesprüht. Während Robert inmitten einer Menschentraube auf den
Einstieg wartete, sah er, wie der Alte am Nachbarflugsteig von drei offiziell
aussehenden Kolonisten empfangen und zu deren Raumgleiter eskortiert wurde.
Robert versuchte in einer Mischung aus Verzweiflung und Langeweile, deren
Ursache in einer simplen Hormonschwankung zu finden war, die Kellnerin unter
all den Einreisenden ausfindig zu machen, doch er konnte sie nirgends entdecken.
Er konnte ja nicht ahnen, dass
sie knapp vor dem Alten in dasselbe Shuttle gestiegen war.
Abgeschieden und ruhig waren die Adjektive, die Robert in
den Sinn kamen, als er im Landeanflug die Kolonie erblickte. In einem breiten
Tal gelegen, direkt an den Hang gebaut, um sie vor den schweren Stürmen auf der
Hochebene zu schützen, lagen idyllisch die Behausungen, Labors,
Gemeinschaftsräume und Schulen der ersten vierhundertsiebenundachtzig Erdenbewohner,
die sich dafür entschieden hatten, auf dem Mars ein neues Leben zu beginnen.
Abgeschieden und ruhig traf es insofern nicht ganz, da es außer dieser Kolonie
noch keine zweite gab und die Sache mit den Ureinwohnern noch immer einer
genaueren Untersuchung harrte. Doch vermutlich besaßen diese, sollte es sie
geben, ein sehr umfangreiches Wissen um die Spezies Mensch und wussten, dass
sie bald keine mehr besitzen würden, falls ihre allzu neugierigen Köpfen zu
weit aus ihren Verstecken lugten. Ehe er sich ganz der Tragweite seiner
Gedanken erfreuen konnte, war er bereits auf der Oberfläche, und eine junge, dynamische
und engagierte Flugbegleiterin in ihrem rotorangen Kleid scheuchte ihn aus dem
Shuttle.
Überirdisch und brillant,
unwirklich und blendend schien die Sonne von einem orangen Himmel, als er am
nächsten – seinem ersten Morgen auf dem Mars – aufwachte.
Die Mitarbeiter der Verwaltung der Marskolonie arbeiteten nun
schon den dritten Tag seit den frühen Morgenstunden, um die Dekoration für die
Feierlichkeiten möglichst ansprechend zu gestalten. Wobei sie ihr Möglichstes
taten, um dabei dem Anspruch ›möglichst ansprechend‹ möglichst gerecht zu
werden. Der Versammlungsraum, mit seiner zweigeschossigen Kuppel, war nur für
diesen Zweck frisch ausgemalt worden. Das Komitee, das für die Vorbereitungen verantwortlich
zeichnete, war nach mehrmonatigen Diskussionen zu dem nicht bei allen
Mitgliedern die gleichen Wellen der Begeisterung hervorrufenden Ergebnis gelangt,
dass eine zweifarbige Gestaltung des Raumes, wenn schon nicht am zweckmäßigsten,
so doch am sinnvollsten war; wobei das Adjektiv ›sinnvoll‹ sehr weitläufig
ausgelegt wurde. Man, also die etwas mehr als sechzigprozentige Mehrheit, die
dem Vorschlag zugestimmte hatte, entschied, die vier Sektoren des Raumes in
Komplementärfarben anzulegen. Ein warmes Orange, das den Mars symbolisieren
sollte, stand einem intensiven Blau gegenüber, das für die Erde stand. Dieses
Blau, für die Einen nichts weiter als eine elektromagnetische Welle im Blauspektrum,
war für die Anderen die Farbe des Anstoßes. Wann waren die Ozeane der Erde das
letzte Mal so strahlend und intensiv gewesen? Als Christoph Kolumbus über den
großen Teich übersetzte, um sich vorzugaukeln, er wäre in Indien gelandet? Als
James Cook zu seiner Eingeborenen-Dezimierungs-Aktion in den Pazifik aufbrach?
Als Ernest Shackleton seine Ponys auffraß und den Südpol zu erreichen hoffte? Wer
konnte das heute noch mit Sicherheit sagen, von einer Zeit, die irgendwann in
der
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