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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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hielt, um sie weiter nach oben zu fahren;
möglicherweise war es der einzige Ausweg aus ihrem Dilemma. Sie durfte diese
Chance nicht ungenutzt vorbeiziehen lassen.
    Ohne zu zögern beschloss sie, Nicole einen Krankenbesuch abzustatten.
    »Hallo Nicole«, hauchte sie mit
einer Zärtlichkeit in der Stimme, die so falsch war wie das Blond ihrer Haare,
als sie in die gläsernen Augen der Fiebernden blickte.
    Als Nicole am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich
elend. Ungesund weiß strahlte ihr Gesicht, fahl wie das Licht des Mondes in
einer Vollmondnacht auf der Erde. Sie tupfte den Schweiß von ihrer Stirn und
pinselte anschließend jede Menge Make-up auf ihre Wangen, dass sie einen
zartrosa Schein hatten. Dann nahm sie noch zwei von diesen Pillen, die das Fieber
senkten, ohne jedoch zum allgemeinen Wohlbefinden beizutragen. Nachdem sie
etwas gefrühstückt hatte, kam Rebecca vorbei.
    »Warum bist du denn nicht im Bett?«, sagte sie in einer
Mischung aus Überraschung und Vorwurf.
    »Ich fühle mich heute schon wesentlich besser«, entgegnete
Nicoles schwache Stimme, während sie ihre Schultern straffte und sich
kerzengerade hinsetzte.
    »Ja, und ich werde demnächst zur Miss Universum gekürt«, gab
die zierliche Medizinerin zurück und wackelte mit den Hüften. »Glaubst du, du
wirst schneller gesund, wenn du mich anlügst und dich nicht an meinen fachärztlichen
Rat hältst?«
    Nicole sah in die Augen ihrer Freundin, sah die Wärme, das
Wohlwollende und Gütige darin. Sie kannte sie einfach zu gut, wusste, was Sache
war. Sie ließ sich nicht so einfach täuschen und hinters Licht führen. »Ich
werde heute hinausgehen und meine Arbeit erledigen«, sagte sie, ohne auf die
rhetorische Frage weiter einzugehen.
    Rebecca fühlte Nicoles Puls und wunderte sich, dass dieser
schon beinahe wieder im Normbereich lag. Dann maß sie ihre Temperatur – 37,3. Verwirrt
starrte sie an die Decke, als stünde dort die Antwort auf ihre Frage, die sie
noch gar nicht gestellt hatte. Dann hellte sich ihre Miene auf. »Du hast ein
paar dieser Pillen geschluckt, die ich nur in äußersten Notfällen verordne,
stimmt’s? Du brauchst es gar nicht abzustreiten. Ich weiß es.«
    Nicole fühlte sich ertappt. Aus traurigen Augen starrte sie Rebecca
an. Sie wollte ihre Freundin nicht anlügen, wozu auch. »Ich gehe heute hinaus,
um meine Arbeit zu machen«, sagte sie, und es klang, als hätte sie den Satz
auswendig gelernt.
    »Nicole, bitte überleg’ dir das noch einmal. Wenn dir
draußen schlecht wird, ein neuer Fieberschub über dich kommt oder du dich
übergeben musst … Es gibt keine Rettung da draußen, dreihundert Meter von der
Basis entfernt.«
    Nicole schien durch Rebecca hindurchzusehen.
    »Du würdest es niemals zurück bis zur Luftschleuse schaffen,
selbst wenn du mit dem Rover einen neuen Geschwindigkeitsrekord für die
erdabgewandte Seite aufstellst.« Rebecca lächelte schwach und griff mit ihrer
Hand nach der von Nicole. Sanft, beinahe liebevoll drückte sie diese, strich
langsam mit den Fingern über ihre weiche Haut, kam mit dem Gesicht ganz nah an
das ihrer Patientin. »Nico, überleg’ dir das noch einmal. Nichts, aber auch gar
nichts ist das Risiko wert. Hörst du?«
    Nicole schien wie in Trance, schien ihre Umgebung nur noch
eingeschränkt wahrzunehmen.
    »Dir kann nichts passieren. Ich bin die Ärztin und ich habe
deine Dienstunfähigkeit bestätigt. Nicole!« Sie packte die Angesprochene an den
Schultern und schüttelte sie so kräftig, als wolle sie damit die abartigen
Ideen aus ihrem Körper verjagen.
    »Ich … ich habe da … nein, ich kann nicht. Ich mache meinen
Job. In sechs Stunden ist es vorbei – spätestens.« Nicole hatte immer schon ein
ausgesprochenes Gespür für Zeit gehabt und wie viel davon ihre jeweils
auszuführenden Tätigkeiten in Anspruch nahmen. Auch in diesem Fall sollte sie recht
behalten.
    Verzweifelt sah Rebecca in die
leeren Augen ihrer Freundin. »Gut! Wenn du glaubst ich sehe zu, wie du dich
umbringst, bist du bei mir an die Falsche geraten. Ich gehe mit dir raus. Wenn
du auf stur schaltest, kann ich das auch – comprendes?«
    Eine Stunde später standen zwei Astronautinnen in ihren
Raumanzügen in der Luftschleuse und Nicole hörte zwischen ihren schweren Atemzügen,
wie die Pumpen die Luft absaugten. Als der Druckausgleich hergestellt war,
öffnete sich das äußere Schott. In einem Schwarz so rein und klar, wie es
nirgendwo auf der Erde hätte sein können, legte sich die

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