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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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noch Sorgen gemacht, woher das Wasser stammte, und
sie dachte auch, noch einen Unterschied herausschmecken zu können, doch
mittlerweile war es ihr gleichgültig. Sie legte die Gabel auf ihren Teller und
verschwand in ihrer Koje. Der Schlaf, in den sie fiel, hatte mit dem normalerweise
erholsamen Zustand nichts gemein; sich hin und her wälzend trat sie mit den
Beinen gegen ihre Decke, als lauerte dahinter ein verborgener Feind.
    Wirr und zusammenhanglos waren
die Bilder. Sie sah ihren Vater, ihre Mutter, sich selbst. Ein riesiger
Weihnachtsbaum stand in dem Wohnraum, der bis hinauf in die erste Etage
reichte. Ein Berg von Geschenken – alle die ihren –, den halben Baum verdeckend.
Sie saß in der Limousine mit Bar, rumpelte mit einem höhergelegten
Geländefahrzeug durch eine irreal schöne Landschaft, stand am Ruder einer
neunzig Fuß Yacht. Sie war kaum fünfzehn. Drei Jahre später. Keine Villa, keine
Limousine, keine Yacht. Nur Vater war noch hier; doch ohne die hintere Hälfte
seines Schädels. Zersprengt in tausend Splitter, von der Kugel, die durch den
Mund eingedrungen war, von eigener Hand abgefeuert. Börsenkrach 2055. Das
Glückspiel und die Nutten kosteten Geld, der Börsenkollaps sein Leben.
Plötzlich ein entzückendes Baby auf ihrem Arm. Eine Tochter. Abwesend glänzte deren
Vater. Wollte auch nicht mehr auftauchen. Ausbildung, Tochter groß ziehen.
Schule für begabte Mittellose. Job … Astronautin … ein Job als Astronautin.
    Gerädert erwachte sie am nächsten Morgen und meldete sich
krank.
    Nachdem Rebecca, die Ärztin der Basis, sie untersucht hatte,
stellte sie kühl fest: »Ich verordne dir für den Anfang einmal vier Tage
Bettruhe. Trink viel warmen Tee und schwitze das Fieber aus deinem Körper.«
    »Aber ich soll doch morgen …«, widersprach Nicole.
    »Nichts da. Weder morgen noch übermorgen wirst du auch nur
daran denken, deinen Dienst zu verrichten«, sagte Rebecca. »Dass wir uns
verstehen, sonst kriegst du’s mit mir zu tun.« Sie grinste ihre Patientin
gutmütig an und strich ihr die klebrigen Haare aus der heißen Stirn.
    Rebecca ging anschließend sofort zur Kommandantin, um ihr mitzuteilen,
dass ihre Technikerin für die kommenden Tage ausfalle.
     
    »Das ist ja ein schöner Mist«, sagte Shannon und sprang von dem
Schreibtisch in ihrer Kammer auf. Sie lief zum Fenster, warf einen Blick
hinaus, der viel zu kurz war, um auch nur das kleinste Detail draußen wahrnehmen
zu können, bevor sie sich erneut Rebecca zuwandte und ihre oberen Schneidezähne
in die Unterlippe grub.
    »Ist ja nicht so schlimm«, entgegnete die Ärztin. »In
spätestens einer Woche ist sie wieder voll einsatzfähig.«
    »Eine Woche«, sinnierte die Kommandantin. »Wir haben aber
keine verdammte Woche mehr«, gab Shannon zurück. Ich habe keine verdammte Woche
mehr, ging es ihr durch den Kopf. »Und wen soll ich statt ihr rausschicken, um
die Versorgungskabel anzuschließen? Sie ist die Expertin, sie hat auch schon
die bisherigen Anschlüsse hergestellt. Wenn ich jemand anderen schicke, dauert
das mindesten zwei bis drei Tage länger – die wir auch nicht haben – und dann
haben wir nicht einmal die Garantie, dass die Sache mit der gleichen
Gewissenhaftigkeit durchgeführt wurde wie bei …«, sie schien einen Namen zu
suchen, der ihr partout nicht einfallen wollte » … Nicole.«
    »Das mag schon sein. Doch ich bin die Ärztin hier auf der
Basis und ich werde es nicht zulassen, dass sie mit neununddreißig Grad Fieber
ihren Dienst versieht. Nicht einmal Innendienst, geschweige denn einen Einsatz
außerhalb der Station – comprendes?« Shannon kannte diese Eigenheit ihrer
Ärztin. Immer wenn Rebecca sich in etwas hineinsteigerte oder in eine emotional
aufwühlende Situation geriet, brachen dann und wann ihre spanischen Wurzeln
hervor. Das äußerte sich nicht nur in ungestümem Verhalten, sondern auch in
verbalen Entgleisungen. »Warum gehst du nicht selber raus und stellst die
Anschlüsse her? Mit deinen unzähligen Universitätsabschlüssen bist du zwar
etwas überqualifiziert für diese Elektriker-Arbeit, aber das sollte doch kein
Problem für dich sein.«
    Shannons Augen hatten plötzlich die Größe des
Tsiolkovsky-Kraters angenommen. Sie war die Kommandantin und noch nie hatte
sich ihr gegenüber ein Untergebener soviel herausgenommen wie gerade eben ihre
Ärztin. Sie starrte Rebecca an und schien zu fragen, ob das, was sie gerade vernommen
hatte, auch wirklich gesagt worden war. Sie spürte

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