Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
Vom Netzwerk:
Titels wie eine Neunjährige aussehen
lassen. Doch es war wie so oft im Leben. Der erste Eindruck war falsch, der
Schein lasziver Weiblichkeit trog; die schönsten und größten Dinge waren selten
so echt, wie sie vorgaben zu sein. Sie waren nur Schein, eine Suggestion, eine
Täuschung. Der synthetische Stoff spannte sich gekonnt über jene Kurven, die
die Techniker so perfekt berechnet und die Produktionsmaschinerie ebenso
perfekt geformt hatte. Ihre Beine waren schlank und wohlgeformt – makellos.
Waren Frauenbeine jemals so perfekt gewesen? Vermutlich hatten die Entwicklungstechniker
bei dieser schon älteren Serie doch etwas übers Ziel geschossen, schmunzelte
Karen amüsiert, als die Vollbusige auf sie zutrat.
    »Hier, trinken Sie das!«, sagte diese mit einer erotischen Altstimme,
und gab Karen damit endgültig die Gewissheit, dass, wer immer diese perfekte ›Dame‹
auch war, sie ursprünglich wohl zu einem ganz anderen Zweck konstruiert worden
war. Alex-028 hielt ihr den Becher hin, den sie bis zur Neige austrinken
musste.
    Vielleicht waren es gar keine Techniker, geisterte es Karen
durch den Kopf. Vielleicht waren es spätpubertierende Twens, die eine
persönliche Fantasie Realität werden lassen und die absolute Traumfrau
erschaffen wollten. Irgendwie war die Welt wirklich öde. Alles war schon einmal
dagewesen, nichts war neu – nicht wirklich. Manche Dinge schlummerten für
einige Jahre, dämmerten Jahrzehnte oder Jahrhunderte vergessen, knapp unter der
Oberfläche menschlicher Aufmerksamkeit vor sich hin, ehe sie ein innovativer Jemand
vom Staub der Geschichte befreite und einer erstaunten Weltbevölkerung als neu verkaufte.
Doktor Frankenstein fiel ihr ein, doch der bastelte seine ›Menschen‹ noch aus
Leichenteilen, da ihm die moderne Synthetik, kombiniert mit Feinmechanik und
Elektronik, zu seiner Zeit noch nicht zur Verfügung stand.
    »Da ist alles drinnen, was Sie an Vitaminen und Nährstoffen
für die nächsten vierundzwanzig Stunden brauchen«, sagte Alex, während sie ihr
Haar mit einer neckischen Bewegung des Kopfes aus ihrem nicht näher
identifizierbaren Gesicht warf. »Legen Sie sich jetzt hin und, wenn Sie sich
ruhig verhalten, brauchen wir auch den Knebel nicht mehr.«
    »Danke. Ausgesprochen liebenswürdig!« Die künstlichen
Beamtenmodelle schienen doch schon wesentlich flexibler zu sein als ihre
Vorgänger vom Typ Homo sapiens, amüsierte sich Karen.
    Sie rollte sich auf die Seite, um nicht auf ihren Armen
liegen zu müssen, dann zog sie ihre Beine nach. »Ich habe morgen einen wirklich
dringenden Termin in Houston, den ich auf keinen Fall verpassen darf«, sagte
sie und blickte auf ihre von einem Metallband umschlossenen Beine.
    »Den werden Sie mit Sicherheit nicht wahrnehmen können«,
sagte Eric-173 mit stoischer Gelassenheit. Sein nichtssagendes Gesicht schien
dabei in das ihre schauen zu wollen.
    »Sie könnten mich ja hinbringen, mich dort absetzen und mich
anschließend wieder hier abliefern.« Es war ihr nicht möglich, in seinem
Gesicht etwas zu erkennen, das auch nur annähernd Ähnlichkeit mit einer
menschlichen Emotion hatte. »Bitte!«, flehte sie. »Es ist wirklich wichtig für
mich. Ich werde auch nicht versuchen zu fliehen.«
    »Das glauben wir Ihnen gerne«, meinte Alex. »Abgesehen
davon, hätten Sie bei einem Fluchtversuch sowieso nicht die geringste Chance.«
    Das entsprach vermutlich sogar der Wahrheit. »Bitte! Sie
können mich auch gefesselt und geknebelt dort abliefern.« Flehend sah sie Eric
an, dann Alex. Doch ihre Mienen waren tot, so tot wie ihre Körper.
    »Ein wirklich verlockendes Angebot«, meinte Eric so
gleichgültig wie immer. »Ein Kollege mit mehr Fleisch und Blut und weniger
Schaltkreisen würde vermutlich in diesem Augenblick schwach werden. Das ist
auch der Grund, warum man uns geschickt hat.«
    Über ein Jahrzehnt hatte sie auf diesen Tag gewartet, hatte
gehofft, dass er irgendwann einmal kommen möge. Im Leben vieler Menschen kam ein
Tag wie dieser nie, an dem ihnen die Chance gegeben wurde, einen Traum wahr
werden zu lassen, ihn aus dem Reich unrealistischer Fantastereien
herauszureißen. Morgen war ihr ›irgendwann‹ und sie lag gefesselt auf der Couch
in ihrem Wohnraum, bewacht von zwei Beamten, und es würde ihr nicht einmal
möglich sein, eine Nachricht zu senden, dass sie den Termin nicht wahrnehmen
konnte. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht zu weinen. Über der Couch hing
ein Gemälde des roten Planeten. Mars. Das Wort allein

Weitere Kostenlose Bücher