Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
vermutete, dass er den
Alten wohl kaum vor dem Abend zu sehen bekommen würde und so brachte er den Tag
mit Recherchieren, Lesen, Spazierengehen und Essen zu.
Beim Abendessen bemerkte er, dass sein Puls sich
beschleunigte und seine Stimmung der eines Kindes am Weihnachtsabend entsprach.
Die Bescherung würde in der Lounge stattfinden und der Alte würde sein Alter Ego
als Weihnachtsmann strapazieren; als Weihnachtsdekoration würde wohl ein Glas
Bier herhalten müssen. Sein kostbares Geschenk wäre eine Geschichte, der er fasziniert
lauschen würde. Zu dieser, das hatten seine Nachforschungen an diesem Tag
ergeben, hatte er allerdings noch ein paar Fragen und in Erwartung der
Antworten keimte eine Freude in ihm auf, die er weder benennen noch zügeln
konnte.
Als Robert die Lounge betrat, winkte ihn der Weihnachtsmann bereits
an seinen Tisch. Die Kellnerin, die offensichtlich gerade mit ihm geflirtet
hatte, lächelte Robert im Vorübergehen zu und fragte: »Was darf ich Ihnen
bringen? Das Übliche?«
»Ja, gerne«, gab Robert zurück, während er auf kürzestem Weg
auf den Alten zuhielt. Eine Frau, grauhaarig, Robert schätzte sie ungefähr auf sechzig,
stand bei John und unterhielt sich mit ihm. Sie war ihm aufgrund ihrer
hochgewachsenen, schlanken Erscheinung schon ein paar Mal aufgefallen. In ihrer
Jugend, so ging es ihm durch den Kopf, musste sie eine bezaubernde Schönheit
gewesen sein. Robert hörte noch, wie sie zu John sagte, sie wolle nun nicht
weiter stören, ehe sie sich umwandte und die Lounge verließ.
»Wo bleiben Sie denn, junger Freund?«, brachte John eine
Frage hervor, die jedoch eher einer Anschuldigung gleichkam.
»Tut mir leid«, Robert wirkte etwas überrascht, »ich habe
mich wohl zulange mit dem Abendessen aufgehalten.«
»Wohl eher mit dem Trinken«, sagte der Alte und nahm einen
Schluck von seinem Tee, der nur noch zur Hälfte in der Schale stand.
»Sie haben mich durchschaut«, sagte Robert, der an diesem
Abend noch keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte. Verschmitzt grinste er den
Alten an. »Auf das trinken wir. Auf das Trinken«, brachte er einen Toast aus,
als ihm die Kellnerin seine Bestellung brachte.
»Prost! Auf Ihr Wohl, junger Freund.«
Robert hob sein Glas und ließ es dezent gegen die Tasse seines
Gegenübers klingen. Nachdem er sich den Schaum von der Oberlippe gewischt und
sein Bier auf dem Tischchen vor ihm abgestellt hatte, wandte er sich seinem
Gesprächspartner zu. »Wissen Sie schon etwas Neues bezüglich Apollo 18?«
Der Alte lachte. »Hören Sie, die Geschichte ist vor ein paar
Wochen erst in den Medien aufgetaucht und heute erwarten sie bereits eine
definitive Bestätigung oder Entgegnung. Geduld – aber vermutlich haben Sie das noch
nie gehört – ist eine Tugend.«
Robert sah den tugendhaften Weihnachtsmann an wie ein Kind,
das ihm zum ersten Mal begegnete. Warum musste er immer tadeln? Kann er nicht
ohne Kommentar seine Geschenke verteilen?
»Zumindest war es einmal eine – in meiner Jugend. – Jetzt
schauen Sie nicht so entsetzt. Ist ja nicht weiter schlimm.«
Warum betont er das, fragte sich Robert, wenn es ohnehin
nicht schlimm sei? Also doch schlimm.
»Die Sache ist die …«
»Bevor Sie fortfahren, habe ich da noch eine Frage zu diesem
Todesfall auf der Tsiolkovsky-Basis.«
»Ja? Bitte.«
»Ich habe heute etwas nachgeforscht. Habe Datenbanken, alte
Nachrichtenmeldungen aus dieser Zeit durchstöbert und …«
»Nichts gefunden«, nahm ihm der Alte die Pointe.
»Sie wissen?«
»Was weiß ich? Dass die Sache damals vertuscht wurde; zuerst
abgestritten und dann vertuscht. Dass Nicole Moore angeblich bei einem
Scooter-Unfall in einer mondlosen Nacht in einer menschenleeren Gegend ums
Leben gekommen sein soll? Dass es keine Zeugen dafür gegeben haben soll? Und
das zwei Wochen, nachdem ihre Leiche zur Erde zurückgebracht worden war?« Seine
Augen funkelten. »Wer glaubt denn so was? Nur Einfältige und …« Er hielt inne.
»Und was? Und Journalisten wollten Sie sagen. Streiten Sie
es nicht ab.«
»Ich streite es nicht ab.« Der Alte schmunzelte. »Es war das
Wort, das mir auf der Zunge lag.«
Robert, so verblüfft von der Ehrlichkeit des Alten, saß erst
stumm da, ehe es aus ihm herausbrach.
»Hören Sie, ich kann es nicht leiden, wie Sie mit mir reden.
Es ist nicht an mir, Ihnen zu widersprechen, wenn Sie mir erzählen, dass Sie
mit Journalisten negative Erfahrungen gemacht haben. Ehrlich gesagt überrascht
mich das nicht.« Er holte
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