Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
war pure Magie und imstande,
stehende Härchen in ihren Nacken und auf ihre Unterarme zu zaubern. Seit sie
von der Existenz dieses Planeten wusste, brannte eine Faszination in ihr, die
von Jahr zu Jahr stärker wurde. Ein Raumschiff nähert sich auf dem Gemälde dem
Planeten, knapp davor, in den Orbit einzuschwenken. Wie oft war sie in ihren
Träumen an Bord dieses Schiffes gegangen, war gemeinsam mit ihrer Crew zu dem
größten Abenteuer ihres Lebens aufgebrochen, war eine einsame Leiter am Ende einer
neuen Welt hinabgeklettert, hatte sacht ihren Stiefel in den roten Sand gesetzt
… Tränen liefen über ihre Wangen. Es würde nicht passieren. Alles, wovon sie
geträumt, es sich gewünscht und herbeigesehnt hatte – es würde nicht passieren.
Und der Grund waren zwei Künstliche. Hemmungslos ließ sie ihren Emotionen freien
Lauf. Sie heulte, wie sie noch nie in ihrem Leben geheult hatte und es war ihr
egal, dass zwei Wesen dabei zusahen, denen diese Emotionen ebenso fremd waren
wie ihr deren Schaltkreise. Karen war nur noch von diesem einen Gedanken besessen,
der sich mehr und mehr in ihrem Gehirn festfraß: Es würde nicht passieren.
7
Robert
Zubrin , 2092
Robert sah den Alten an. »Das ist ja
wirklich Scheiße! – Entschuldigung, John!«, fügte er gleich noch hinzu, als
könne er damit die Anhäufung seiner verbalen Entgleisungen auf seinem Fäkalienkonto
wieder auf Null setzen.
»Das können Sie aber laut sagen, Robert.«
»Was ist denn dann geschehen?« Erwartungsvoll heftete er
seinen Blick auf die Lippen des Alten. Doch was diese ihm gleich sagten, wollte
er nicht hören.
»Morgen, junger Freund. Morgen ist auch noch ein Tag.« Er
nahm einen letzten Schluck aus seinem Glas und verließ, ohne Robert eine gute
Nacht zu wünschen, die Lounge.
Morgen war auch noch ein Tag, vorausgesetzt natürlich, dass
das Schiff weder explodierte noch mit einem Asteroiden kollidierte oder das
Universum nicht genauso rasch, wie es vor vierzehn Milliarden Jahren entstanden
war, wieder auf einen winzigen Punkt zusammenschrumpfte. Roberts Gedanken taumelten
unkontrolliert durch den Raum, wie Astronauten bei ihrem ersten Training in der
Schwerelosigkeit. Was sollte er von dieser Geschichte halten? Wer weiß, was der
Alte aus lauter Langeweile in seinem Demenzwahn imstande war zusammen zu
fantasieren. Zu viele Dinge schwirrten in Roberts Kopf durcheinander und
versuchten, seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Selbstverständlich kannte er die
Geschichte um die Tsiolkovsky-Basis, doch von dem Todesfall auf dem Mond hatte
er noch nie etwas gehört. Tischte ihm der Alte womöglich Märchen auf? Märchen
aus zwanzig und einem Jahrhundert? Er würde es herausfinden müssen. Doch so wie
die Dinge lagen, sicher nicht mehr an diesem Abend. Robert nahm noch einen kleinen
Whisky und verließ die heimelige Atmosphäre der Lounge, um seine Kabine in den
sterilen Gängen des Schiffes aufzusuchen.
Er lag in seiner Koje, wälzte sich hin und her; drehte sich
auf den Bauch, auf die Seite, zurück auf den Rücken, um dasselbe Ritual gleich
wieder von neuem zu beginnen. In seinen Gedanken erschien Karen, ging schön und
stolz auf ihn zu, kokettierte mit ihm, lächelte ihn an, forderte ihn heraus,
sie so weit zu bringen, wie der Reisende in der Nachbarkabine seine Partnerin
und noch weiter. Gerade als er mit seiner linken Hand unter die Decke fassen
wollte, vernahm er, dass in der Nachbarkabine bereits eine weitere Folge aus der
beliebten Reihe Wie-täusche-ich-einen-Orgasmus-vor lief. Bereits am fünften Tag
nach der Abreise hatte er sich geschworen es aufzugeben, die vorgetäuschten
Orgasmen, die ihm durch die halbseidene Wand weiß machen wollten, dass es auch
noch ein Leben abseits des Jobs gab, mitzuzählen – doch bisher hatte die Psyche
seine Logik immer ausgetrickst; – diesmal nicht, schwor er sich trotzig und
machte sich gedanklich eine Notiz bei einhundertsiebenundachtzig. Dass der Typ
das nicht merkte? Was hatte es für einen Wert, wenn sie alle nur vorgetäuscht
waren? Hatten sie überhaupt einen Wert? Warum sie überhaupt vortäuschen? Warum
nicht einfach so belassen wie es der Natur und damit der Wirklichkeit entsprach?
Genervt über die Tatsache, dass er emotionale Dinge mit seiner Logik zu
erfassen und zerpflücken suchte, schlief er ein und träumte, er fliege mit
einem interplanetaren Passagierschiff zum Mars.
Als Robert am nächsten Tag aufwachte, war er begeistert,
dass sein Traum nicht nur ein Traum gewesen war. Er
Weitere Kostenlose Bücher