Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
Luft. »Vielleicht ist es Ihnen möglich, mich erst
näher kennen zu lernen, bevor sie mich verurteilen. Ich bin keiner von ›diesen‹
Journalisten. Denn hätte ich mein Urteil über Sie ebenso rasch gefällt wie Sie
Ihres über mich, säßen wir jetzt unter Umständen gar nicht hier!« Dabei war er
laut geworden. Das allgemeine Hintergrundgetuschel erstarb für wenige
Augenblicke.
Der Alte sah ihn erstaunt an. Robert hatte den Eindruck, als
hätte sich dieser tiefer in seinen hochlehnigen Fauteuil zurückgezogen. »Entschuldigung«,
sagte der Alte verdutzt. »Es tut mir leid, mein Freund. Es war nicht meine
Absicht, Sie für etwas verantwortlich zu machen, was andere Ihres Berufstandes
getan haben.«
»In Ordnung«, sagte Robert. »Schon vergessen.« Es entstand
eine Pause, die von dem Ächzen des Schiffes und dem Klappern der Schritte der
Kellnerin nur unzureichend ausgefüllt wurde.
»Wo war ich?«
»Einfältige und …«
»Ja, richtig! – Schauen Sie, Nachrichten und Meldungen sind
ja für die breite Masse gemacht und zwar so, dass sie möglichst vielen dieser
unintelligenten Ansammlung logisch und nachvollziehbar erscheinen. Es geht doch
nicht in erster Linie darum, das zu transportieren, was geschehen ist oder wie
es geschehen ist. Und um Wahrheit – Gott behüte, so ein großes Wort – geht es
schon gar nicht. Vielleicht noch um Wirklichkeit. Mit einer objektiven
Berichterstattung hat das eigentlich nichts mehr zu tun. Das haben Sie doch
sicher bei ihrer Ausbildung gelernt. Fakten anders darzustellen, zurechtzubiegen,
zu ändern. Zum Beispiel in unserem Fall so, dass sie dem Mondprogramm nicht
schaden können, dass man es nicht in Frage stellt. Dass niemand unangenehme
Fragen stellt. Dass niemand auch nur auf die abwegige Idee käme, eine Frage
dieser Art in seinem Gehirn reifen zu lassen.«
Die Aussage hatte schon was, auch wenn Robert diese
Vorgangsweise unmöglich tolerieren konnte. Er grübelte. Habe ich das bei meiner
Ausbildung nicht gelernt? Er kramte in seinem Gehirn, durchstöberte Stellagen,
Regale, Ablagen, kämpfte sich durch den gesamten Schrott an unnützem Wissen,
das zuhauf in diesen herumlag, sich stapelte, als Schmutzfänger diente, bis er
schließlich im hintersten Winkel gegen seine Schädeldecke stieß. »Ich kann mich
nicht daran erinnern.«
»Macht nichts, junger Freund, durch langjährige Erfahrung
kommt dieses Wissen ganz von allein – ohne, dass Sie es merken. Langsam und
unmerklich kriecht es ihren Rücken hinauf, klettert über ihre Halswirbeln,
findet in ihrem Schädel ein kleines Schlupfloch und …«
»Und …? Was und …?«
»… Schwupps.«
»Schwupps?«
»Ja! Schwupps, ist es drinnen in Ihrem Schädel, ohne dass
Sie es bewusst registriert haben oder verhindern hätten können.«
Das waren keine guten Aussichten. Robert fühlte ein
stechendes Pochen in seinem Hinterkopf. War das die Hintertür, die gerade mit schmerzendem
Krachen ins Schloss gerasselt war? Robert befühlte seinen Schädel. »Und Sie
meinen irgendwann, nach dem Schwupps, schreibe ich auch solche Dinge? Dinge,
die nicht korrekt sind? Dinge, die ich ändere, um daraus neue ›Fakten‹ zu
machen?«
»Diese Möglichkeit sollte man nie ausschließen«, sagte der
Alte. »Ich bin sicher, falls es jemals soweit ist, denken Sie an mich.«
»Wissen Sie, was mich an Ihnen fasziniert?« Robert setzte
ein mit einem nichtssagenden Lächeln maskiertes, gleichgültiges Gesicht auf.
Geschmeichelt zog der Alte seine Augenbrauen hoch.
»Auf der einen Seite können Sie Journalisten, aus Gründen
die Sie mir nicht anvertrauen wollen, nicht leiden, andererseits reden Sie
davon, dass es für jemanden wie mich wichtig ist, die Tatsachen zu verdrehen,
sie zu ändern und – wie war Ihr Wortlaut? – sie zurecht zu biegen. Wie soll
denn das mit den ethischen Wertvorstellungen eines Journalisten zusammenpassen?
»Robert, lieber Freund«, sagte sein greiser Mitreisender
nach einer Weile, die ausgereicht hätte um seine linke Gehirnhälfte neu zu
formatieren. »Ich gebe zu, Sie haben mit Ihrem Einwand recht, doch … warten Sie
ab. Sollte ich wider Erwarten falsch liegen, haben Sie dadurch ja nichts zu
verlieren.«
Robert beschloss, da ihm im Augenblick nichts Sinnvolles mehr
einfiel, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sollte es dieses Schlupfloch
wirklich geben, konnte er ohnehin nichts dagegen tun. »Wie ging denn nun die
Geschichte mit Karen weiter?«
»Bitte? Welche Karen?« John strich über seine blanke
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