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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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Stirn
als wollte er den kärglichen Rest seiner Erinnerungen wieder zum Leben
erwecken.
    »Sie wissen schon. Karen, gekidnappt von den Künstlichen …«
Roberts Eingeweide krampften sich zu einem Knoten zusammen. Jetzt konnte sich
der Alte nicht einmal mehr an seine Geschichte erinnern. Also doch Demenz.
    »Ah, ›die‹ Karen! Natürlich. Wo hatte ich nur wieder meine
Gedanken?«
    Vermutlich bei der netten Kellnerin, dachte Robert, und
hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als es vor dem Alten laut
auszusprechen.
    »Bevor ich die Geschichte weitererzähle, bestellen wir am
besten noch Nachschub. Meine Kehle ist nicht dafür geschaffen, dass Worte
ungeölt aus ihr heraussprudeln. – Danielle!«, rief der Alte und, als die
Kellnerin ihn ansah, wies er einmal auf den Tee und einmal auf das Bierglas.
Sie nickte.
    Als sie kurz darauf die Getränke brachte und abstellte,
wandte sie sich nicht sofort um, wie sie es sonst tat. Robert ertappte sich
dabei, wie er ihre Oberschenkel, die aus ihrem kurzen Overall hervorlugten, wie
magisch angezogen fixierte. Als er seinen Blick nach oben wandte, bemerkte er,
dass sie ihn die gesamte Zeit schon dabei beobachtete, wie er sie beobachtete.
Seine Wangen wurden mit einem Schlag dunkelrot.
    »Ganz recht, ich bin hier oben.« Sie grinste. »Schreiben Sie
auch einmal einen Artikel über mich?«, fragte sie. Der fordernde Unterton ihrer
Stimme und ihre leuchtenden Augen ließen ihn angenehm erschaudern.
    Überrascht sah er sie an, fand ihre Nase eine Spur zu breit,
ihre Lippen einen Deut zu schmal, ihren Gesamteindruck jedoch ausgesprochen
attraktiv, aber keine Worte, die ihm passend schienen; er schnappte nach Luft,
wie ein Fisch im Vakuum des Alls. Hilfesuchend blickte er auf seine beiden
Biergläser; das eine fast überschäumend, das andere beinahe leer; dann auf den
Tisch, den Boden, die Decke und auf ihre schwarzen, polarisierenden Strümpfe –
doch auch dort stand nichts, das er ihr zur Antwort hätte geben können. Sie
lächelte. Seine Wangen glühten. Die Kellnerin lächelte noch immer. Nicht
schadenfroh, eher gutmütig und aufmunternd.
    »Schauen Sie …«, begann er und hoffte, in der dadurch
gewonnen Zeit eine wohlklingende und freundliche Ausrede aus seiner
journalistischen Trickkiste zu zaubern, die er einem Wesen wie ihr zukommen
lassen konnte. »… es tut mir leid, aber ich interviewe keine …«, Dienstboten,
fiel ihm gerade eine, »keine …« Ein Königreich, selbst ein Vereinigtes Königreich
hätte er in diesem Augenblick für einen Euphemismus gegeben. Doch woher sollte
er in dieser kurzen Zeit einen nehmen.
    »Angestellten der Gastronomie?«, warf ihm die Kellnerin in
der Sekunde hin, als seine subkutane Farbpalette nicht mehr in der Lage war,
das Rot noch intensiver und peinlicher leuchten zu lassen.
    »Danke. Ganz recht. Ich bin beauftragt, über die
Feierlichkeiten zu berichten, mit den Ehrengästen und Mitgliedern der
Führungscrew zu sprechen und darüber zu schreiben.«
    »Das ist ja schade«, sagte sie und warf ihm noch ein
verschmitztes Lächeln zu, ehe sie sich abwandte und zur Bar zurückging.
    »Ich denke, die Frau – Danielle – hat etwas übrig für Sie«,
sagte der Alte und Robert konnte kein Anzeichen dafür entdecken, dass er es
nicht ernst meinte. »Hören Sie, junger Freund, Sie sollten nicht jetzt schon damit
beginnen, Mitreisende – egal ob Personal oder Passagiere – in Schubladen
einzuteilen.«
    »Keine Sorge, mach ich nicht. Aber warum sollte ich mit
einer gewöhnlichen Kellnerin ein Interview führen?« Die Betonung auf dem ›gewöhnlich‹
war klar herauszuhören.
    »Woher wissen Sie das? Hat sie es Ihnen gesagt?«
    »Nein, aber wer würde sonst auf einem Raumfrachter kellnern?
Doch nur jemand, der das Geld absolut nötig hat und der keine Ausbildung hat,
um einen anständigen Job zu machen.« Robert holte Luft.
    »So einen anständigen Job wie Journalist zum Beispiel?«
    »Ja, so wie … Ich will wirklich nicht den ganzen Abend damit
zubringen, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Erzählen Sie mir, wie es mit Karen
weiterging!«
    Der Alte ließ sich weder aus der Ruhe noch aus dem Konzept
bringen. »Wem ist denn der Euphemismus eingefallen – Ihnen oder ihr?« Er wies
mit seinem linken Arm Richtung Theke, zog seine Augenbrauen zusammen und lachte.
»Gut. Wo war ich stehengeblieben?« Seine weißen Haare schienen in diesem
Augenblick geisterhaft zu leuchten.

8
    Houston,
2065
    Sie war so ruhig wie eine Frau, die
es sich gerade in

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