Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
Kommandantin, was aber deine Gesundheit
betrifft, liegt die Entscheidung einzig und allein bei mir.«
»Und bei wem liegt die Entscheidung bezüglich deines Gesundheitszustands?«
Eine lange Pause folgte. Zwischen dem Klappern der Ventile
und dem Summen der Ventilatoren war die Arie einer Oper zu vernehmen, einer
italienischen Oper.
»Wie viel wissen die da unten? Was alles hast du ihnen
erzählt?«
»Dass du von Tag zu Tag depressiver wirst«, entgegnete Lamin.
»Nichts, was nicht den Tatsachen entspräche.«
Karen schnaubte, starrte ihn mit paralysierten Augen an.
Tausend Dinge schwirrten in ihrem Kopf umher. Am liebsten hätte sie ihrem Kollegen,
der mittlerweile nicht mehr nur Arzt, sondern auch Patient war, eine schallende
Ohrfeige verpasst, und das hätte sich nicht einmal in der Tatsache begründet,
dass er zur Hälfte Afrikaner und zur anderen Deutscher war; nur damit, dass sie
ihn absolut nicht ausstehen konnte. Aber das wäre das Ende von Karen, der
Astronautin, gewesen. Ihre Hände zitterten, in den Fingerspitzen kribbelte es,
als wollten sie sich jeden Augenblick selbstständig machen, um den innigsten
Wunsch ihrer Besitzerin zu verwirklichen. Sie ballte beide Hände zur Faust, so
fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie spannte die Muskeln in ihren
Armen an und sog tief die Luft ein. Gleich würde sie den Arm heben, ausholen
und mit all ihrer Kraft dem Afro-Germanen eine scheuern, dass er nur sprachlos
staunen konnte, wie viel Kraft noch immer in seiner kleinen, depressiven
Kommandantin steckte. Sie hielt die Luft an. Schließlich atmete sie langsam
aus, presste die verbrauchte Luft und den aufgestauten Ärger aus ihrem Körper,
entspannte ihre Hände und stellte mit Überraschung fest, dass das Kribbeln, das
die ganze Zeit über nach Handeln und Aktivität geschrien hatte, aus ihren
Fingern verschwunden war. Sie sank auf sein Bett. »Lamin, war das wirklich
notwendig?«, sagte sie und Tränen rollten über ihre Wangen.
»Karen«, hörte sie ihren Arzt sagen, »das ist meine Aufgabe,
nur deshalb bin ich überhaupt hier. Ich wäre ein schlechter Arzt, wenn …«
»Du bist ein schlechter Arzt, verdammt noch mal! Du wärst
gar nicht hier, wenn du dir deinen Platz nicht erschlichen hättest. Vielleicht
wäre dann ein Arzt hier, der auch für mich Verständnis hätte und nicht nur für
seine eigenen Belange.« Ihre Stimme kippte. »Du bist nur hier, um mir meine
Mission zu vermasseln, mir auf dem ohnehin schon kräfteraubenden Weg noch
Prügel zwischen die Beine zu werfen, in der Hoffnung, dass sie mich möglichst
bald zu Fall bringen mögen.«
Er antwortete nicht. Ein paar Schritte, gleich darauf hörte
sie die Kabinentür ins Schloss fallen. Jetzt haut er auch noch ab, der feige Kerl,
ging es ihr durch den Kopf. Typisch Mann! Kaum gibt es die geringsten Probleme,
machen sie sich aus dem Staub. Sie hieb mit ihrer rechten Faust gegen die Wand.
Ein zweites, drittes, viertes Mal. Sie fing an dagegen zu trommeln, als biete
diese Klangtherapie den einzigen Ausweg aus ihrem emotional so enggeschnürten Korsett.
Kaum eine halbe Minute war verstrichen, als Lamin mit einem
Glas aus der Galley zurückkam. Er reichte ihr das Wasser und hielt ihr zwei
Pillen unter die Nase. »Nimm die, dann wirst du dich besser und ruhiger fühlen.«
Sie fing die Tabletten mit ihrer Hand auf und ohne ihm einen
fragenden, mürrischen oder genervten Blick zuzuwerfen oder ihn nach der
Identität der Arznei zu fragen, schluckte sie beide auf einmal und spülte sie
mit dem Wasser hinunter.
»Du solltest dich ausruhen. Ich werde Umberto sagen, dass er
heute deine Agenden übernehmen soll. Vermutlich freut er sich, wenn er vier
Stunden länger ungestört auf der Brücke Verdi hören kann.«
Sie nickte. »Wirst du wieder …?«
»Nein! Ich werde keinen neuerlichen Bericht über diesen
Vorfall an die Erde schicken«, unterbrach er sie.
»Danke!«, sagte ihre verheulte
Stimme und durch den silbrigen Vorhang ihrer Tränen konnte sie nur noch ahnen,
dass er wieder verschwunden war.
An jenem Abend, als das Fehlen jeglicher Unterhaltung das
Atmen, Glucksen und Ächzen des Schiffes zu einem lautstarken Konzert werden
ließ, trippelte eine Gestalt leichtfüßig aus ihrer Kammer um drei Türen weiter,
um in einer anderen zu verschwinden.
»Wer ist da?«, fragte eine Frauenstimme.
»Jack the Ripper!«, sagte eine
andere.
Privates
Logbuch, Dr. Lamin Berger
Habe Patientin K. zugesichert,
keine weitere Nachricht über ihren
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