Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Karen. Ja, ein Drittel der Schwerkraft wirkte schon Wunder an
gewissen Körperstellen.
    »Ha! Jetzt musstest du doch schmunzeln. Ich habe es genau
gesehen.«
    »Was hab’ ich?«
    »Geschmunzelt – du weißt schon, die Lippen verzogen, um für
einen außenstehenden Beobachter den Anschein zu erwecken, dass du irgendetwas
komisch fandest.«
    »Hab ich nicht«, sagte Karen.
    »Hast du doch«, lachte die Geologin. »Woran hast du gedacht?
Das möchte ich jetzt wirklich wissen.«
    »Ich hab …«
    »Los, nicht so schüchtern, Frau Kommandantin!«, bohrte
Nancy.
    »Nicht so laut, muss ja nicht gleich das ganze Schiff hören.
– Also«, begann Karen und wusste nicht, ob ihr das jetzt peinlich war oder sein
hätte sollen, »ich habe gerade gedacht, wie schön deine Brüste sind«.
    Versteinerung fuhr kaum einen Augenblick später in Nancys
Gesichtsausdruck; Versteinerung bar jeglicher Feminität.
    »Bei einem Drittel der Schwerkraft, meine ich«, fügte Karen erklärend
hinzu.
    Die Gegenwart schien in einer unendlich langsamen Zeitlupe
abzulaufen, während Nancys Mundpartie sich zu verändern begann; ihre
Kinnmuskeln sich entspannten, ihre Augen an Wärme zurückgewannen. Sie strahlte.
    »Danke für das Kompliment. Ich fand sie allerdings auf der
Erde auch ganz hübsch.« Dabei sah sie, wie um die Richtigkeit ihrer Aussage zu
überprüfen, auf ihren Busen. »Ja, nicht schlecht für eine Frau von
siebenunddreißig. Ich denke, ich kann zufrieden sein«, lachte sie breit.
    Plötzlich war Karen wie hypnotisiert von den beiden
wohlgerundeten Formen. Sie strahlten Weiblichkeit, Sanftheit und Geborgenheit
aus, weckten Erinnerungen an die Erde, weckten Fantasien an eine wunderbare,
lebenswerte Erde, die in dieser Form für sie nun nicht mehr existierte. Mit
jeder Meile, die sie sich von dem einzigen Ort im Universum, den sie wirklich kannte,
entfernte, wurde dieser heimeliger und begehrenswerter. Erde – war mit einem
Mal zum Synonym all ihrer Sehnsüchte geworden. Alles, was sie jemals an dem
Planeten und seinen Bewohnern gestört hatte, war verflogen. Die
Umweltzerstörung, die offensichtliche Kurzsichtigkeit scheinbar weitsichtiger Politiker,
der Rassenhass der Fanatiker, der Fanatismus der Nicht-Fanatiker, die Intoleranz
gegenüber den Toleranten, das Falschdenken der Andersdenkenden, die
Überhandnahme und Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen, die einseitige
Verteilung vorhandener Ressourcen; wobei letzter Punkt nicht mehr unbedingt
richtig war, denn das Thema hatte sich mittlerweile gemeinsam mit den Ressourcen
erschöpft. Damit hatte sich das Problem einer gerechten Aufteilung auf
salomonische Weise selbst erledigt.
    »Ja, die Erde«, seufzte Karen.
    »Dir ging es letztes Mal schon nicht gut, Karen, und heute,
für den unwahrscheinlichen Fall, dass du mich fragen solltest, würde ich sagen,
siehst du auch nicht besser aus.«
    »Danke für das Kompliment. Das ist wirklich ausgesprochen
hilfreich. Außerdem kann ich mich nicht erinnern, dich gefragt zu haben.«
    »Ich meine, du hast schon einmal besser ausgesehen.«
    »Meine Kammer hat einen Spiegel, Nancy, ich weiß, wie ich
aussehe.«
    »Hast du schon mit dem Doc gesprochen?«
    »Was soll denn das bringen?«
    »Was kann es denn schaden?«
    Karen starrte noch immer auf Nancys Brüste. Dann ließ sie
ihren Blick nach oben wandern, bis sie dem von Nancy begegnete. »Vielleicht
hast du recht. Ich will die Sache aber nicht unnötig aufblasen, nur weil …«
    »Nur weil, wenn ich das schon höre. Nur weil es dir
saudreckig geht«, fuhr Nancy sie an.
    Karen schwieg.
    »Ich wusste es«, sagte Nancy und etwas wie ein kleiner
Triumph schwang in ihrer Stimme mit.
    »Schön für dich, dass du auch
einmal etwas weißt«, konterte Karen und verschwand ohne ein weiteres Wort
Richtung Brücke.
    Sie hatte sich gerade wieder etwas gefasst, hatte ihr
Ich-bin-ganz-ruhig-Mantra vor sich hingemurmelt, während sie im dazupassenden
Takt die Stufen der Niedergänge zur Brücke aufenterte. Dort setzte sie sich an
eine frei Konsole um ihre persönlichen Nachrichten von der Erde durchzusehen. Neben
unzähliger Mails ihrer Freunde fand sie auch eine private Nachricht von Mission
Control, die ihr sofort unangenehm ins Auge stach. Sie überflog diese, begann
hektisch zu atmen, sprang auf, stieß mit ihrem Fuß zornig gegen die
Kunststoffverkleidung und schrie: »Doc!« Dieser verdammte Mistkerl. »Doc!«
    Nichts rührte sich. Energisch polterte Karen den Niedergang
zum Crewdeck hinunter, lief zu