Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
Sie nicht auch?«
Ms Allen, die gerade ihren Lippenstift gezückt hatte, um das
Rot auf ihren Lippen in seiner Intensität an das des Mars anzugleichen, nickte
in einer Mischung aus Zustimmung und Geistesabwesenheit.
»Dies ist aber keineswegs etwas Besonderes«, fuhr Mr Hoax
fort. »Ich habe recherchiert, dass bei der ersten Mondlandung im Jahr … äh …«
»1969«, half die Sprecherin aus.
»… exakt dasselbe passiert ist. Die weiße Gestalt, die Sie erkennen
können, ist Jacqueline Lambert, der in dieser geschichtsträchtigen Stunde die
Ehre zuteil wird, ihre Kommandantin zu vertreten. Wir erkennen Miss Lambert
zweifelsfrei an dem reinweißen Raumanzug, während jener der Kommandantin einen
roten Streifen an beiden Oberschenkeln besitzt. – Seit der letzten Explosion
eines Space-Shuttles im Jahre …«
»2003«, sagte Ms Allen, »aber das war keine Explosion. Das
Shuttle ist beim Wiedereintritt verglüht.« Ein kleiner Triumph strahlte aus
ihrem Lächeln.
»… seit dem Absturz der internationalen Raumstation in der
australischen Wüste …«
»2037«
»und seit dem Scheitern des X-49½ Projektes, das schließlich
auch das Ende der Nasa im Jahr …«
»2049, würde ich meinen«
»… bedeutete, gab es kein so reges Interesse mehr an der
Raumfahrt wie heute. Knappe vier Milliarden Menschen, so schätzen die Experten,
verfolgen heute dieses einmalige Ereignis.« Mr Hoax sah auf den Bildschirm. »Wie
ich sehe, hat Ms Lambert bereits den Mars betreten. Leider ist uns der
Originalton irgendwo im schwarzen Nichts zwischen Erde und Mars verloren gegangen,
und so konnten wir leider die denkwürdigen und, da bin ich mir sicher, auch emotionalen
Worte, der ersten Frau auf dem Mars nicht vernehmen. Wir werden Ihnen diese
Information natürlich sofort nachliefern, sobald wir selbst im Besitz des
Originaltones bzw. des Transkripts der Worte sind, die Ms McDonnel –
Entschuldigung – Ms Lambert, muss es natürlich heißen, zu dieser Stunde
gesprochen hat.«
Das rote Licht an der Kamera erlosch; ebenso das ›On the
air‹ Signal an der Studiowand.
»Du bist wirklich zu dumm, um
dir die einfachsten Dinge zu merken, Stanislaw«, sagte Ms Allen genervt.
Sämtliche Publikationen der Medien auf dem dritten Planeten
unseres Sonnensystems, die sich auch nur einigermaßen der Verbreitung von
Nachrichten, Neuigkeiten, Tratsch oder Unwahrheiten verschrieben hatten, hatten
an diesem Tag nur ein Thema – Jacqueline, die erste Frau auf dem Mars. Neben der
gewaltigen, ehrfurchtgebietenden und alles erdrückenden Headline war das
liebreizende Konterfei von Ms Lambert abgebildet, das sie in ihrem Overall
während der letzten Phase ihres Trainings zeigte. Die Aufnahme musste
mittlerweile an die zehn Monate alt sein. Eine Mischung aus Anspannung und
Euphorie stand in dem Gesicht jener Frau, die im sprichwörtlich letzten
Augenblick den Sprung vom einfachen Crewmitglied zum Star der Mission geschafft
hatte – und das gänzlich ohne ihr Zutun. In ihrem Heimatort Valleyfield, in Kanada,
waren die Einwohner inklusive Bürgermeister und Gemeinderat seit dem Eintreffen
der Bilder vom Mars auf den Beinen gewesen. Das war vor beinahe vierundzwanzig
Stunden gewesen. Mittlerweile war niemand von ihnen mehr auf den Beinen. Die
meisten lagen auf, neben oder unter Tischen, Stühlen oder Bar-Tresen,
hingestreckt vom Alkohol, der in unübersehbaren Mengen geflossen war.
In der zentralen Leitstelle des Mars One Fluges in Houston hingegen
war die Stimmung nicht ganz so euphorisch. Die Freude über die erfolgreiche
Landung war zwar groß, doch wurde sie von dieser unangenehmen Sache
überschattet, von der niemand wusste, wie sie überhaupt passieren hatte können und
wer dafür verantwortlich war. Der Präsident sah noch bleicher und ratloser aus,
als am Tag zuvor, und Ellen Parodi schien ihr brünettes Haar über Nacht mit
einem dezenten Grau abgetönt zu haben. Als sie sein Büro betrat, das er
vorübergehend in Mission Control eingerichtet hatte, stellte er ihr auch
gleich, ohne lange gefragt zu haben, einen Becher dampfenden Kaffees hin.
»Danke«, sagte sie, »das ist genau das, was ich jetzt
brauche.«
Zittrig, doch keineswegs
würdelos, nahm der Präsident ihr gegenüber Platz, seinen Pressesprecher zu
seiner Linken. Lange musterte er das Gesicht der Flugleiterin, sah zum Fenster
hinaus, sah das Grau der Großstadtluft, das das innere seiner Seele und das
äußere seiner Gesichtfarbe perfekt widerspiegelte. »Um die Sache nicht
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