Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
internationalen
Staatengemeinschaft wurden etwas weicher.
»Oder«, fuhr Ellen fort, »wir könnten die Bilder live senden,
d. h. zu dem Zeitpunkt, da sie vom Mars eintreffen und unterlegen sie mit einem
passenden Kommentar.« Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Was für ein Kommentar?«
»So etwas in der Art wie ›Da sich Karen McDonnel aufgrund
einer Verkühlung nicht in der Lage sieht, ist Jacqueline – weiß jetzt ihren
Nachnamen nicht – für sie eingesprungen‹. Wer tatsächlich in dem Raumanzug auf
dem Mars steckt, ist ohnehin bedeutungslos. Egal. Irrelevant.«
Der Präsident starrte lange auf einen Punkt, der sich
irgendwo zwischen Ellens Augen auf der hinter ihr liegenden Wand befinden
musste. Sein Starren wollte kein Ende nehmen. War er am Ende gar mit offenen
Augen vor Erschöpfung eingenickt? Schließlich bemerkte Ellen, dass seine Augen
wieder fokussierten. »Ja, so machen wir es. Überlegen Sie sich einen Text und
briefen Sie die Sprecher.«
Ellen nickte ihm kurz zu und verließ wortlos den Raum.
Hoffentlich kommt keiner der Milliarden Zuseher auf die Idee beim Sender anzurufen
und nachzufragen, wie sich Karen ihre Verkühlung zugezogen hatte. Angesteckt
durch ein Crewmitglied, die zugige Marsluft während der Landung … Ellen Parodi
versuchte diese dunklen Gedanken, die obendrein an Absurdität kaum mehr zu
übertreffen waren, sofort wieder aus ihrem Kopf zu verbannen, bevor sie noch
mehr an Raum gewannen.
Waren sie wirklich so absurd?,
fragte sie sich zwei Sekunden später.
Geräuschlos schob sich das äußere Schott der Luftschleuse
auf. Intensiv und rotorange leuchtete ihr der staubige Boden entgegen. Langsam
tastete sie sich mit ihren unförmigen Mars-Boots an die Kante der winzigen Plattform
vor. Mit beiden Händen nach der Handreling greifend, begann sie, die letzten zehn
Sprossen des Niedergangs hinabzusteigen. Sie spürte, wie ihre Beine zitterten,
ihre Knie weich wurden, ihr Herz noch einmal zehn Schläge pro Minute drauflegte,
und fürchtete, ohnmächtig zu werden. Ihre Gedanken zwang sie, sich auf die neun
noch unter ihr liegenden Tritte der Leiter zu konzentrieren. Acht Monate hatte
sie Zeit gehabt, sich auf diese Minuten vorzubereiten, und nun hatte sie
Bedenken, dass ihre Nerven ihr möglicherweise einen Strich durch den größten
Schritt ihres Lebens machen könnten. Wie würde es aussehen, wenn sie am Fuß der
Leiter zusammensackte? Der erste Mensch auf dem Mars – eine Frau, ohnmächtig. Ein
schauderliches Bild. Das wäre eine Schlagzeile. Vielleicht hätten wir doch
einen Mann nehmen sollen, würde der Ruf von Millionen, die es immer schon
besser gewusst hatten, um die Welt gehen. Unendlich langsam tastete ihr linkes
Bein nach unten, bis ihr Fuß gegen einen Widerstand stieß. Das war Nummer
sieben. Sie versuchte einen Rhythmus zu finden, glitt langsam mit ihren Händen
nach unten, während sie ihre Boots immer sicherer auf das Metall setzte. Latent
hing eine Unzahl an Schweißperlen in ihren Stirnfransen. Ihr Körper wurde von
einem wohligen Wärmeschauer erfasst. »Noch drei«, sagte sie schließlich. Es war
das erste, an das sie sich bewusst erinnern konnte, es ausgesprochen zu haben,
seit sie aus dem Schiff ausgestiegen war.
»Roger«, kam es von der Brücke der Mars One zurück.
»Die lange Reise ist nun zu Ende«, klang Karens Stimme
adrenalingeladen durch die Intercom. Sie schnappte nach Luft, die in dem
winzigen, nach feuchtem Kunststoff riechenden Helm immer knapper zu werden
schien. Begann sich ihre Wahrnehmung einzuengen oder war es das Visier, das an
den Rändern aufgrund der tropisch anmutenden Luftfeuchtigkeit bereits beschlug?
War sie schon an der letzten Sprosse? An der vorletzten? Sand. Sand! Unter ihr
war roter Sand und er war zum Greifen nah. Ihr war, als spürte sie das sanfte
Streicheln des Marswindes auf ihren Wangen. Sachte lockerte sie den Griff ihrer
Hände und wandte sich um. Vor ihr erstreckte sich eine Wüste aus Sand, nur ab
und zu von einem einsamen Felsen gesprenkelt. In der Ferne konnte sie den gewaltigen
Gebirgszug des ›Ascraeus Mons‹ erkennen, dessen bizarre Schönheit sie sofort in
ihren Bann zog. Die Rocky Mountains, der Himalaya oder die Alpen konnten kaum
bezaubernder sein; nur irdischer. Überwältigt von dieser neuen Welt vergaß sie
alles rund um sich, betrachtete diese einmalige Szenerie. Es rauschte in ihrem
Helm, dann knackte es und sie vernahm Umbertos Stimme: »Karen, wir haben keinen
Ton.«
Sie drehte sich
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