Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
überfluteten, nicht. »Alle
Systeme Grün«, sagte er zu Karen, die in der Luftschleuse die innere Schleusentür
verriegelte. »Du kannst mit der Deko beginnen.«
»Roger«, krachte es über die Interkom zurück.
Als sein Blick den dunkelroten Bildschirm mit dem
grellorangen ›P1-PLT‹ Aufschrift, die eine Priorität-eins-Nachricht für den
Piloten ankündigte, streifte, wurde er je aus seinen Gedanken gerissen. In all
dem Trubel und der Aufregung hatte er nicht mehr an die Nachricht gedacht, die
er vor ungefähr zwanzig Minuten zur Erde gesandt hatte. Umberto öffnete die
Nachricht und entschlüsselte sie. Diesmal war er in der Lage, den gesamten Text
lesen zu können. Er fühlte das Herz seinen Schlag beschleunigen, Schweiß auf
seinen Handflächen, schale Hitze in sich aufsteigen, die gleich darauf von
hohler Kälte abgelöst wurde. Er starrte auf den Schirm. Warf einen Blick aus
dem Fenster. Er rief sich sämtliche Notfallsroutinen in Erinnerung, doch es gab
nicht eine einzige, die ihm in dieser Situation einfallen wollte. Dieser Fall lag
anders. War es überhaupt ein Notfall? Er lag außerhalb von allem, was sich jemals
jemand vermocht hatte auszudenken, was schief gehen konnte. Also keine Routine.
Er erstarrte. Sein Blick suchte hilfesuchend die Brücke ab, doch er fand
nichts, das ihm eine Hilfe gewesen wäre, das ihm seine Entscheidung erleichtert
oder gar abgenommen hätte. Panik stieg in ihm hoch, von der er in diesem
Augenblick nicht sagen konnte, ob sich diese gleich in einer Lähmung oder in
einem hysterischen Anfall bemerkbar machen würde.
Wie ein Film lief in einem einzigen Augenblick die
Geschichte seines Leben vor seiner Wahrnehmung ab und stoppte abrupt im Hier
und Jetzt; bei ihm; auf der Brücke der Mars One; Die Entscheidung, wie ein
weiterer Punkt in dieser Geschichte aussehen würde, lag einzig und allein bei
ihm. Und wenn er nicht rasch handelte, dann …
Er stürmte zu der Konsole auf der anderen Seite der Brücke. Blitzschnell,
dass seine Hand mit dem menschlichen Auge kaum noch zu verfolgen war, schlug er
mit seiner Faust auf den signalroten Knopf für die Notverriegelung der
Außenhülle. »Haltet sie auf. Ihr müsst sie aufhalten!«, rief er nach unten,
wobei der Teil der Nachricht, der durch die Decks hallte, wesentlich lauter war
als jener, der über die Intercom kam.
»Wen?«, fragte Jacqueline.
»Karen, wen sonst!«
»Die ist gerade raus. Was ist
denn auf einmal so dringend? Acht Monate hattest du Zeit gehabt und jetzt
fällt’s dir ein.« Typisch Italiener. Aber das sagte sie nicht laut.
Der Präsident saß zusammengesunken auf seinem Stuhl. Ellen
Parodi schlug ein Bein über das andere, wenig später das andere über das eine und
versuchte Herrin über die Situation zu bleiben oder zumindest nach außen hin
diesen Eindruck zu erwecken. Sie strich mit einer bedächtigen Handbewegung ihr
Haar aus dem Gesicht, obwohl sich auch keine einzige Strähne, ja nicht einmal
ein unbedeutendes Strähnchen in dieses verirrt hatte. Ihr rechter Fuß wippte nervös
und unablässig auf und ab. Sie atmete gleichmäßig und doch etwas rascher als
gewöhnlich. Zischend sog sie die Luft ein.
»Wir müssen davon ausgehen, Mr Präsident, dass die Nachricht
die Crew nicht mehr rechtzeitig erreicht hat.« Ihr Blick begegnete so ruhig dem
ihres Gegenübers, als hätte sie ihm gerade eine Tasse Kaffee angeboten.
»Und was würden Sie demzufolge vorschlagen?«
Ellen bemerkte, dass er seine Finger verkrampft in die
Sessellehne krallte, als könne er nur auf diese Weise seine Unbeherrschtheit im
Zaum halten. »So wie ich das sehe, haben wir drei Möglichkeiten.« Ellen warf ihren
Kopf in den Nacken. »Wir geben an die Öffentlichkeit die Information, dass die
Übertragungseinheit von Mars One ausgefallen ist und uns weder Audio- noch
Videosignale erreicht haben.«
Der Präsident runzelte die Stirn, zog seine Augenbrauen hoch.
»Da würden wir uns ein Armutszeugnis ausstellen. Erst brauchen wir Jahrzehnte,
um überhaupt ein Schiff zu entwerfen und zu bauen, das in der Lage ist den Mars
zu erreichen, und dann sind wir zu dämlich, um eine Kamera zu konstruieren, die
die ersten Bilder von der roten Oberfläche des Planeten überträgt. Keine Option
für mich.«
»Wir könnten die Signale aufzeichnen und zu einem späteren
Zeitpunkt senden. Bis dahin hätten wir genügend Zeit, uns in Ruhe zu überlegen,
wie wir weiter vorgehen.«
Die Linien um den Mund des Oberhauptes der
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