Die Frauen der Calhouns 05 - Megan
hörte, goss er einen Schuss Cognac in den Tee und stellte den Becher auf den Tisch.
Sie war blass und ihre Augen viel zu groß. Die Kleidung, die er ihr gegeben hatte, auch. Fast hätte er gelächelt, als er sie so verloren in der Tür stehen sah.
»Setz dich und trink etwas Warmes. Das wird dir guttun.«
»Es ist alles in Ordnung, wirklich.« Doch sie setzte sich und hielt den Becher mit beiden Händen, damit das Zittern ihrer Finger nicht auffiel. Sie nippte an der Tasse und schnappte nach Luft. »Das soll Tee sein?«
»Ist es. Mit einem kleinen Extra zur Stärkung.« Er nahm ihr gegenüber Platz und wartete, bis sie noch einen Schluck nahm. »Hat er dir wehgetan?«
Sie starrte auf die Tischplatte. In dem lackierten Holz spiegelte sich ihr Gesicht. »Ja«, antwortete sie sehr ruhig. Sie glaubte auch fest, ruhig zu sein. Bis Nathaniel ihre Hand in seine nahm. Sie hielt den Atem an, schnappte leise nach Luft, stockte erneut … und dann lehnte sie die Stirn auf den Tisch und begann zu weinen.
Es waren reinigende Tränen, Tränen, die alles mit sich fortspülten – enttäuschte Hoffnungen und zerbrochene Träume, Verbitterung und Angst. Nathaniel wartete stumm, bis sie sich ausgeweint hatte.
»Tut mir leid.« Sie blieb mit der Wange auf der Tischplatte liegen, genoss das kühle Holz an der Haut und Nathaniels tröstende Hand auf ihrem Haar. »Es ist alles so schnell passiert, ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet …« Sie richtete sich auf und wischte sich die Tränen fort. Plötzlich erfasste sie Panik. »Kevin! Oh Gott, wenn Baxter …«
»Beruhige dich. Holt wird auf Kevin achtgeben. Dumont wird nicht einmal in seine Nähe kommen.«
»Natürlich, du hast recht.« Sie atmete tief aus. Holt war sicherlich sofort zu Suzanna und den Kindern gefahren. »Baxter wollte mir nur Angst einjagen.«
»Ist es ihm gelungen?«
Ihre Augen schimmerten noch feucht, aber ihr Blick war fest. »Nein. Er hat mir wehgetan und mich wütend gemacht. Und mir wird übel bei dem Gedanken, dass ich mich je von ihm habe anrühren lassen. Aber Angst hat er mir nicht gemacht. Das kann er nicht.«
»Tapferes Mädchen.«
Sie schniefte und lächelte schwach. »Aber er hat Angst vor mir. Deshalb war er heute hier, nach all der Zeit. Weil er Angst hat.«
»Wovor?«
»Vor der Vergangenheit. Davor, was daraus folgen könnte.« Sie atmete tief durch und konnte Nathaniel riechen – sein typischer Duft nach Tabak und Meer. Dieser Duft hatte eine seltsam beruhigende Wirkung auf sie. »Er glaubt irgendeiner Verschwörung auf der Spur zu sein, weil ich hergezogen bin. Er hat mich all die Jahre über beobachten lassen. Ich wusste es nicht.«
»Sonst hat er sich nie bei dir blicken lassen?«
»Nein, nie. Vermutlich fühlte er sich sicher, solange ich in Oklahoma war und keinerlei Kontakt zu Suzanna hatte. Doch jetzt gibt es nicht nur Kontakt, jetzt lebe ich hier. Und Kevin und Alex und Jenny … Er begreift nicht, dass es überhaupt nichts mit ihm zu tun hat.«
Sie nahm den Becher auf und trank noch einen Schluck. Vielleicht lag es daran, dass Nathaniel nichts sagte, sie weder drängte noch fragte und nur ihre Hand hielt, dass sie zu erzählen begann.
»Ich traf ihn in New York. Ich war stolze siebzehn und zum ersten Mal von zu Hause weg. Ein paar Freundinnen fuhren mit mir zusammen während der Winterferien zu der Tante von einer von uns. Es war so aufregend und wunderbar, alles war neu. Die Stadt mit ihrem Trubel, die Wolkenkratzer, die vielen Menschen … alles war so ganz anders als zu Hause. Schaufensterbummel auf der Fifth Avenue, Kaffeetrinken in einem Künstlercafé in Greenwich Village … Wir liefen nur mit aufgesperrtem Mund durch die Straßen. Es ist so albern.«
»Nein, das ist normal.«
»Ja, wahrscheinlich ist es das für Teenager.« Sie seufzte schwer. »Und dann kam diese Party … Er sah umwerfend aus, wie ein Filmstar, und er war charmant und erfahren und schon etwas älter. Er hatte Europa bereist …« Sie schloss die Augen. »Himmel, das ist krank!«
»Du musst mir das nicht erzählen, wenn du nicht willst, Meg.«
»Doch, ich will.« Sie hob die Lider. »Das heißt, wenn du dir das anhören kannst.«
»Ich bin hier und gehe auch nirgendwohin.« Er drückte tröstend ihre Finger. »Red es dir von der Seele«, forderte er sie auf.
»Er benutzte all die richtigen Floskeln, sagte all die richtigen Dinge. Am Morgen nach der Party schickte er mir ein Dutzend rote Rosen, zusammen mit einer Einladung zum
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