Die Frauen des Journalisten (German Edition)
noch verheiratet. Vermutlich wollte die Mutter nicht mitgehen, jedenfalls hat sie die Scheidung in seiner Abwesenheit erwirkt, als die Tochter noch sehr klein war. Damals hat er sich in Koblenz niedergelassen.“
„Wieso sagst du, dass die Tochter nichts von ihm weiß.“
„Nach der Scheidung gab es nie wieder Kontakte zwischen den Eltern, keine Briefe, keine Pakete, nichts. Die Mutter ist schon in den achtziger Jahren gestorben, und in ihrer Kaderakte machte diese Irene immer nur Angaben zum Namen des Vaters und dessen Geburtsdatum. Ich bin mir da sicher, dass sie überhaupt nichts über ihren Vater weiß.“
Nachdenklich sah Galuba seinen ehemaligen Kollegen an.
„Und ob er zwischen 1989 und 90 einen Versuch unternommen, die Tochter zu finden...“
Jürgen unterbrach ihn.
„Nein, darüber gibt es keine Aufzeichnungen.“
***
Vor der breiten Fensterfront der Villa war das Scheinwerferlicht eines herankommenden Autos zu sehen. Das Auto hielt, war aber vor dem Fenster nicht zu sehen. Die Scheinwerfer erloschen. Kurz darauf wurde die Eingangstür zur Villa geöffnet und eilige Schritte waren zu hören. Im Gesicht von Hermann Voigt zeigte sich ein Lächeln, als er seinen Sohn Robert kommen hörte.
„Guten Abend, Vater, gibt es etwas Neues?“, fragte der Sohn, als er seine Vater vor dem Fernseher sah.
„Hallo Robert, schön, dass du noch vorbeikommst. Hol dir auch ein Bier oder hast du es eilig?“
„Für ein Bier reicht die Zeit immer. Ist Frau Schneider schon weg?“
„Ja, vor einer halben Stunde.“
Robert kam mit einem Bier und einem Glas aus der Küche zurück und setzte sich zu seinem Vater auf die Ledercouch. Im Fernsehen war ein Bericht über die Montagsdemonstrationen in Leipzig zu sehen.
„Es werden jede Woche mehr.“ In der Stimme von Hermann Voigt klangen Erstaunen und Ablehnung zugleich.
Robert sah den Vater an.
„Du hast lange nicht von ihr gesprochen.“
„Das stimmt, - und vielleicht ist sie auch dabei. Ich erkenne fast alles wieder, alles ist so – nah. In mir ist ein Gefühl, als wäre es erst letzte Woche gewesen, dass ich dort weggegangen bin. Du wirst mich nicht verstehen, aber seit ich jetzt mehr Zeit für mich habe, hatte ich dieses Gefühl schon öfter. Meine Vergangenheit rückt näher, ich sehe alles wieder deutlich vor mir.“
Dann nach einer Weile - „Robert, kannst du dir vorstellen, wie sich das entwickeln wird? Ja; diese immer noch währende Teilung unserer Nation ist unnatürlich, aber wie kann man die Teile wieder zusammenfügen, ohne die Anderen zu überfahren?“
„Vater, ich habe kaum Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Falls es zur Einheit kommt, wird es mit Sicherheit viele Gewinner auf unserer Seite geben. Das sogenannte Volkseigentum wird wieder in private Hände übergehen. Niemand hier zweifelt daran, dass sich bei uns etwas verändert. Es wird einen sogenannten Beitritt geben. Du solltest dir Gedanken machen, wie du sie finden kannst. Das willst du doch, ja? Es wird noch eine Weile brauchen, bis alle Strukturen dann so funktionieren, wie wir es gewöhnt sind, um an sichere Informationen zu kommen.“
Voigt sah abwesend auf den Bildschirm.
„Du bist jetzt so alt, wie ich damals. Kannst du dir vorstellen, wie das ist, mit fast nichts, morgen hunderte Kilometer von hier, neu anzufangen?“
Er hatte langsam gesprochen. Er wusste, dass sein Sohn darauf nicht antworten konnte. Warum sollte er sich auch solche Gedanken machen. Dann gab er sich einen Ruck, für heute sollte das Thema beendet sein. Er sah den Sohn an, froh darüber, dass er neben ihm saß.
„Und war alles in Ordnung?“
Robert schaltete den Fernseher aus, nahm sein Glas und trat vor die breite Glastür in der Fensterfront. Von hier aus konnte man die Mosel als breites glitzerndes Band sehen. Straßenlampen, die man aus dieser Entfernung nur ahnen konnte und die beleuchteten Gaststätten zeichneten auf dem fließenden Wasser sprühende Funken. Er schaute gern abends von hier oben herunter. Alles war so winzig, unwirklich, auch unwichtig.
„Alles ist wie immer.“, antwortete er jetzt.
„Das Thema Osten wird aber immer wichtiger. Es gibt von Seiten des Verbandes konkrete Vorstellungen, wie die Übernahme von Betrieben aussehen könnte. Ich bin da eher skeptisch. Wir müssen uns da nicht rein drängen, unsere Betriebe sind leistungsfähig genug, um eventuell dazukommende Märkte mit abzudecken. Sollte sich aber eine günstige Gelegenheit bieten, werde wir
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