Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
gewisses Konfliktniveau bei gleichzeitigem Ausbleiben von Ergebnissen, das wusste er.
Er legte sich aufs Bett, um sein Gehirn aufzuräumen, schloss die Augen und versuchte, seine Gedanken zu zerstreuen. In der Wohnung war es vollkommen still. Es war ein schönes Gefühl, einfach nur so dazuliegen. Das brauchte er jetzt. Er versuchte, ruhig und meditativ zu atmen, so wie Lily es ihm einmal beigebracht hatte.
Tiefe Atemzüge. Regelmäßig. Langsam. Die eigene Stille finden.
Er hatte Lily so sehr geliebt. Die Erinnerung an sie lag immer direkt hinter dem Bild von Sabine, es war weicher und schwächer in den Konturen, aber immer noch vorhanden, wie ein Schatten. Er wusste, warum sie nur die Zweite war. Weil er sich schämte. Weil er ihre gemeinsame Tochter losgelassen hatte. Sie ans Meer verloren hatte.
Das Gefühl des Verlusts überwältigte ihn mit voller Kraft, und er stand hastig auf. Das ruhige Atmen war sofort von den unregelmäßigen Atemzügen der Trauer vertrieben worden. Er fühlte sich gejagt. Von sich selbst und seinen Erinnerungen. Nirgends war er frei von ihnen.
Seine Augen fielen auf Trolles Ica-Tüte, deren Plastikhenkel unter dem Bett hervorragten. Sogar hier sprangen sie ihm ins Auge – die Beweise, was er eigentlich für ein Mensch war. Halb versteckt unter dem Bett lagen die Dokumente, die er bestellt und bezahlt hatte, um Vanjas Eltern in den Schmutz zu ziehen. Was hatten sie ihm eigentlich getan? Nichts. Anna hatte nur versucht, ihre Tochter vor dem Mann zu beschützen, der zu allem fähig war. Valdemar wusste nichts von ihm, hatte Anna gesagt. Das stimmte sicher auch. Doch obwohl sie eigentlich beide unschuldig waren, sollten sie heimgesucht werden, bestraft werden. Dabei waren sie nicht einmal seine wirklichen Gegner. Das war nur er. Er allein.
Sein eigener Feind.
Langsam nahm er die Tüte vom Boden auf. Er sollte sie verbrennen. Vernichten. Er hatte kein Anrecht auf ihr Leben. Eigentlich hatte er nicht mal besonders viel Recht auf sein eigenes. Er betrachtete den weißen Kachelofen, den er noch nie benutzt hatte. Wenn er nur wüsste, wo er Streichhölzer hatte. Vielleicht in der Küche. Er ging hinein und begann mit den Schubladen. Besteck in der obersten. Diverse Küchenutensilien in der zweiten. Keine Streichhölzer. Topflappen und -untersetzer, die er nie benutzte, in der dritten. Plötzlich klingelte es an der Tür. Er blickte völlig entgeistert in den Flur und konnte sich nicht erinnern, wann das zum letzten Mal vorgekommen war. Wahrscheinlich, als ein Vertreter dagestanden hatte. Oder die Zeugen Jehovas. Es klingelte erneut. Er beschloss, das Klingeln zu ignorieren, er hatte weder Zeit noch Lust, jemanden abzuwimmeln. Doch dann hörte er die Stimme draußen.
«Sebastian. Mach auf. Ich weiß, dass du da bist!»
Es war Ellinor Bergkvist. Das konnte doch nicht wahr sein. Was hatte die hier zu suchen?
«Huhu, Sebastian, aufmachen!»
Er hielt kurz inne und beschloss dann, seinem ursprünglichen Plan zu folgen und das Klingeln zu ignorieren. Doch sie läutete noch einmal. Diesmal länger. Hartnäckig. Konnte sie wirklich wissen, dass er da war? Bei Ellinor war nichts undenkbar. Erneutes Klingeln.
«Sebastian!»
Fluchend verließ Sebastian die Küche, pfefferte die Ica-Tüte wieder unter das Bett, als er am Gästezimmer vorbeikam, ging hastig in den Flur und riss die Tür auf, wobei er versuchte, so wütend auszusehen, wie er nur konnte. Das war nicht besonders schwer. Nicht, wenn Ellinor Bergkvist im Treppenhaus stand.
Sie hatte einen kleinen schwarzen Rollkoffer dabei und lächelte ihn so fröhlich und erwartungsvoll an, als gäbe es auf der Welt nichts Schlechtes. «Hier bin ich also», war das Erste, was sie sagte. Genauso selbstverständlich wie ihr Lächeln.
Seine Antwort war ebenso selbstverständlich. «Was zum Teufel machst du hier?»
«Ich glaube, das weiß du ganz genau!» Sie hob ihre Hand, als wollte sie ihn berühren, ihm womöglich über die Wange streichen.
Sebastian wich aus Reflex einen Schritt zurück.
Ellinor strahlte ihn weiter an. «Nimmst du meinen Koffer?»
Sebastian schüttelte den Kopf. «Ich habe dich gebeten, eine Zeitlang zu verschwinden. Bis der Mordfall aufgeklärt ist.» Er sah sie ernst an. «Kapierst du das denn nicht? Du bist in Gefahr.»
Statt einer Antwort nahm sie selbst den Koffer und drängte sich an ihm vorbei in den Flur. Er ließ sie gewähren. Oder besser gesagt, er war nicht schnell genug, um sie aufzuhalten. Ellinor hatte ein
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