Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Zeit verbringen.
Ein eigenes Leben haben, bevor man Teil eines anderen werden kann.
Irgendwie spürte er, dass dieser Fall tatsächlich ein Weg sein konnte, auf dem er seine ersten Schritte in sein Leben würde zurückgehen können.
S ie saßen schweigend in dem dunkelblauen Volvo. Vanja nahm die Garagenausfahrt am Fridhelmsplan, hielt kurz beim Wachmann, zeigte ihre Dienstmarke und fuhr dann auf den Drottningholmvägen. Sebastian beobachtete sie genau. Sie war zweifellos sauer. Aus jeder ihrer Bewegungen sprach die Wut. Wenn sie schaltete, wenn sie aggressiv die Fahrspur wechselte, und dann der Blick, den sie ihm zuwarf, als er das Fenster öffnete und die warme, feuchte Sommerluft ins Auto ließ.
«Die Klimaanlage funktioniert nicht, wenn du das Fenster aufmachst.»
«Man kann eben nicht alles haben.»
Ihre Direktheit gefiel ihm. Sie machte sie wirklich.
Lebendig und stark.
Er hatte sie nun schon so lange aus der Ferne beobachtet, dass ihm von ihrer Nähe fast schwindelig wurde. Das machte ihn unendlich zufrieden. Egal wie gereizt oder wütend sie auch war – er wünschte sich, dass dieser Moment mit ihr im Auto ewig anhalten würde. Sogar der Stockholmer Verkehr wirkte für eine Weile harmonisch. Sie fuhren schweigend auf der E4 Richtung Süden weiter. Bei den Essinge-Inseln hielt sie es nicht mehr aus und brach ihr Schweigen. «Bist du eigentlich Masochist?»
Sebastian wurde aus seinen Gedanken gerissen. Er sah sie an. Verstand ihre Frage nicht ganz.
«Was …? Nein.»
«Warum bist du dann wiedergekommen?» Ihre Augen funkelten vor Zorn. «Warum willst du unbedingt in eine Gruppe rein, in der dich niemand leiden kann?»
«Billy mag mich.»
«Billy zeigt nur nicht offen, dass er dich nicht mag.»
«Same shit, different name.»
Sebastian rang sich ein Lächeln ab. Glaubte sie wirklich, seine Handlungen hingen davon ab, was andere über ihn dachten?
«Bist du es schon so sehr gewöhnt, gehasst zu werden, dass du dich damit zufriedengibst, wenn dich die Leute immerhin ertragen?»
«Vermutlich ja.»
«Wenn du nicht so ein Arsch wärst, könntest du einem fast leidtun.»
«Danke.» Er sah sie dankbar an und stellte fest, dass sie das noch mehr reizte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, ihr so nah und doch mit dem Wissen über sie beide allein zu sein.
Er wollte so viel über sie wissen. Wovon träumte sie? Was dachte sie, wenn sie morgens dort an ihrem Frühstückstisch saß? Worüber lachte sie mit dem Mann, den sie für ihren Vater hielt? Würde er sie jemals auch nur annähernd so kennenlernen? Anders, als mit Widerwillen gegen ihn.
«Hör auf», sagte sie plötzlich und begegnete wütend seinem forschenden Blick.
«Womit?»
«Sieh mich nicht so an.»
«Wie denn?»
«Na so! Wie du es gerade tust. Ich möchte nicht wissen, was du dabei denkst.»
«Darauf würdest du nie kommen …»
Vanja starrte ihn angeekelt an. «Hör verdammt noch mal auf, so zu glotzen!»
Sebastian sah wieder nach vorn. Ohne es zu ahnen, war sie der Wahrheit plötzlich ganz nah gewesen, hatte danach getastet, unwissend, gedankenlos. Er hätte das Unmögliche zu gern noch weiter berührt, aber es war schwer, es zu denken, und noch schwerer, es in Worte zu fassen.
«Wenn du und ich zu einem anderen …» Er geriet ins Stocken. Fing erneut an. «Zu einem anderen Zeitpunkt im Leben. Was ich meine, ist … Du weißt, es gibt Gründe dafür, dass …»
Sie unterbrach ihn mitten im Satz: «Sebastian?»
«Ja?»
«Halt einfach die Klappe.»
Er verstummte.
Sie drückte aufs Gas.
Und die restliche Fahrt über sprachen sie nicht mehr miteinander.
Das Haus im Tollens Väg 19 war eines dieser vielen gepflegten, charmanten Einfamilienhäuser in einem dieser vielen Vororte von Stockholm. Der Garten jedoch hatte mehr Pflege und Liebe erhalten als durchschnittlich, dachte Sebastian. Sonst gab es nichts, was herausstach. Nur das gelb leuchtende Schild «Tatort. Abgesperrt» an der Haustür gab einen Hinweis auf die Tragödie. Vanja ging einige Meter vor ihm, betrat die Treppe und öffnete die Tür mit einem Schlüssel. Sebastian hatte es nicht ganz so eilig, sondern blieb in dem wohlgeratenen Garten stehen und betrachtete das Haus. Zwei Stockwerke. Ein rotes Ziegeldach. Gelb gestrichen mit weißen Fensterrahmen. Sauber und ordentlich, mit Gardinen und weißen Blumentöpfen in den Fenstern. Hier hatte bis vor wenigen Tagen ein Paar mit Träumen und Sehnsüchten gelebt. Sie hatten vielleicht nicht aus der Masse
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