Die Frauen von Bramble House
klaren, was geschehen würde, falls ihr Vater sie je allein erwischen sollte, wirklich allen. Wenn sie nur erst verheiratet wäre; dann würde er sie nicht mehr anfassen dürfen. Aber sie hatte ihrer Mutter versprochen, erst ein Jahr verlobt zu bleiben. Doch immer öfter in den letzten Tagen kamen ihr Zweifel, daß sie dieses Versprechen würde halten können.
Wieso konnten sie nicht sein wie andere Familien? Normal? Warum mußte ausgerechnet sie einen solchen Vater haben? Aber Ricky sagte, daß es ziemlich oft vorkomme und daß viele Männer solche Gefühle für ihre Töchter entwickelten wie ihr Vater für sie. Und daß das immer so gewesen sei; nur eben in letzter Zeit dringe davon mehr an die Öffentlichkeit, und die Leute würden stärker darauf aufmerksam gemacht. Erstaunlicherweise liege die Schuld oft bei den Müttern, denn sie wüßten oft, was da passierte, scheuten sich aber, ihren Mann zur Anzeige zu bringen.
Auch ihre eigene Mutter hatte Bescheid gewußt, und sie hätte früher etwas dagegen tun müssen, oder? Sie wegbringen.
Aber was hätte sie schon tun können? Sie hatte die Urgroßmutter zu versorgen, und die stand auf der Seite ihres Vaters; und Großmutter Lizzie wollte unter gar keinen Umständen wieder ins Haus zurückziehen. Und so waren ihrer Mutter die Hände gebunden gewesen. Und gewissermaßen auch ihr Herz, denn wenn sie ausgezogen wäre, hätte sie ja auch Charlie zurücklassen müssen; aber wäre der nicht mit ihrer Mutter gegangen?
Der Gedanke an die Beziehung zwischen Charlie und ihrer Mutter versetzte sie innerlich in Wallungen; aber daß ihr Vater eine Geliebte hatte, das hatte sie nie wirklich berührt. Warum nicht? Und weshalb er, wenn er schon eine Geliebte hatte, auch noch seine Tochter haben wollte … Es war alles so undurchsichtig und verwirrend. Ach, sie wünschte, sie wäre weit fort von hier, von diesem Haus, dieser Stadt; fort mit Ricky, nur sie beide, allein in ihrer Welt. Aber das war natürlich Unsinn; Ricky war Arzt, und es würden immer Leute um ihn sein. Manchmal fühlte sie sich schon ganz erwachsen, und dann wieder wurde ihr bewußt, daß sie noch sehr viel mehr wachsen und lernen mußte, und es würde sie bald danach drängen, damit voranzukommen.
Sie hob den Kopf und betrachtete die anderen: Ihre Mutter saß da und schaute wieder die Teekanne an, als studierte sie das Stück. Sie war eine schöne Frau. Nie zuvor hatte sie ihre Mutter für schön gehalten; gutaussehend ja, aber nicht schön. Aber das war sie, genau wie Ricky gesagt hatte. Und dann die Großmutter, und auch sie sah gut aus, aber irgendwie alt; nun ja, sie war über fünfzig, aber sie hatte Chic und kleidete sich geschmackvoll. Und da war Charlie. Ein wenig jünger als ihre Mutter; zweiunddreißig, fast dreiunddreißig. Ein unauffälliger Mann, aber mit einem freundlichen, angenehmen Gesicht. Er sah nicht aus wie ein wunderbarer Musiker. Aber wie sollte ein wunderbarer Musiker aussehen? Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Charlie überall im Ausland aufgetreten war. Aber sie hatte mitbekommen, daß er recht bekannt sei, und Tante May hatte gesagt, er könnte noch berühmter sein, wenn da nicht Peggy wäre, ihre Mutter. Sie hatte das am Küchenfenster mitgehört, als die beiden damals diesen Riesenkrach hatten; also eigentlich ja keinen richtigen Riesenkrach, bloß sehr heftige Worte. Tante May betete ihren Charlie an. Komisch, wie sehr sie Tante May mochte; wahrscheinlich deshalb, weil sie die einzige war, die immer die Wahrheit sagte; taktlos damit herausplatzte, nannte Oma Lizzie das.
Peggys Stimme riß sie aus ihrer Träumerei. Ihre Mutter sagte zu Lizzie: »Du wirst schon ab und zu kommen und mich ablösen müssen. Ich pflege sie sieben Tage in der Woche, und die Nächte noch dazu. Es ist nicht fair!«
»Sie hat genug Geld, sich eine Nachtpflegerin zu leisten, und eine für tagsüber auch. Sei nicht so dumm, und bestehe drauf!«
Peggy reagierte, indem sie aufsprang und empört erwiderte: »Du geh rauf und mach ihr das klar, dann wirst du ja sehen, wie sie das aufnimmt. Jedenfalls, Mama, es würde dir gar nichts schaden, wenn du einmal in der Woche rüberkommen und mich ablösen würdest.«
»Tut mir leid.« Auch Lizzie war nun aufgestanden. Sie hatte den Kopf abgewandt und schloß die Augen kurz, als sie sagte: »Es tut mir wirklich leid, Peggy, aber ich kann ihre Nähe nicht ertragen. Ich hätte nie geglaubt, daß ich ihr gegenüber derartige Gefühle entwickeln würde, aber
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