Die Frauen von Bramble House
bevor ich es mir noch anders überlege und zur Urgroßmutter rauflaufe und ihr berichte, wo du zuerst hingehst, ehe du dich zu deinen Kumpanen begibst. Ich bin durchaus dazu fähig, weißt du! Also, vergiß es nicht!«
Sie betrachtete ihn seelenruhig und sah, wie sein ganzer Körper sich spannte, wie er die Fäuste an den Schenkeln ballte und wie sich der breitlippige Mund – das einzige, was in seinem sonst so hübschen Gesicht störte – dehnte, als er mahlend die Zähne zusammenbiß. Peggy ließ aber seinen Blick nicht los, und da machte er kehrt und ging aus dem Zimmer.
Als wäre sie tatsächlich erschöpft aus einem Kampf gekommen, ließ sich Peggy auf die Couch fallen und hockte da mit keuchendem, von Schluchzern unterbrochenem Atem. Sie hätte gern geweint. Oh, so richtig weinen können! Aber sie wußte, in ein paar Minuten, sobald er aus dem Haus war, würde sie zu ihrem kleinen Mädchen hinaufgehen müssen, um ihr eine Geschichte vorzulesen, und das Kind war schon so wach und empfindsam und spürte ihre Stimmungen. Und dann fragte sie: »Bist du traurig, Mammy?« Oder: »Bist du böse mit mir, Mammy?« Und dann würde sie im ersten Fall sagen müssen und dabei lächeln: »Ach, nein, natürlich nicht, ich hab nur ein bißchen Kopfweh, weiter nichts.« Und im zweiten Fall würde sie das Kind in die Arme schließen und sagen müssen: »Nein, meine Süße, ich bin nicht böse mit dir. Ich könnte dir niemals böse sein.« Und dann würde die Kleine ihre Ärmchen um ihren Hals schlingen und sie drücken. Aber beim letzten Mal, als sie das Kind dann geküßt hatte, hatte das Kind gesagt: »Dein Mund ist lieb, Mammy. Pappis Mund ist immer ganz naß.« Es schauderte Peggy bei der Vorstellung, was sich hinter diesen kindlichen Worten verbergen mochte.
Etwas mußte geschehen, und zwar bald. Doch was? Was? Mit wem konnte sie darüber sprechen? Sie hatte niemanden, dem sie hätte anvertrauen können: »Mir machen die Gefühle meines Mannes für seine … für meine Tochter Sorgen.« Zu wem hätte sie so etwas sagen können?
Sie wußte nicht, wie lange sie so dagelegen hatte, aber als die Tür aufging, fuhr sie auf und ließ sich wieder zurücksinken, als sie sah, daß es ihre Großmutter war.
Victoria kam an die Couch und setzte sich, und ohne Gruß und Einleitung jammerte sie: »Seit dem Weihnachtsessen hab ich wieder fürchterliche Verdauungsbeschwerden. Ich darf so was einfach nicht essen. Aber wieso können andere es vertragen? Warum ausgerechnet ich nicht?«
Als jedoch ihre Enkelin nicht die gewohnte Reaktion zeigte, wandte sie ihr den Kopf zu und betrachtete die junge Frau, die da flach und mit dem Nacken auf der Armlehne hingestreckt vor ihr lag. Die Augen waren geschlossen, die Wangenmuskeln zeichneten sich weiß unter der Haut ab. Und mit veränderter Stimme fragte Victoria: »Was ist denn mit dir, Liebes? Was ist los?«
»Nichts, Oma, nichts.«
»Ach, mich kannst du nicht hinters Licht führen. Es stimmt nicht zwischen dir und ihm. Er ist also heut abend wieder weg. Ich verstehe. Ausgerechnet heute zu Silvester. Allerdings wäre ich ja sowieso nicht aufgeblieben. Das mache ich jetzt nicht mehr. Mir genügt es, wenn ich das Glockengebimmel und das Feuerwerksgetöse vom Bett aus höre. Aber so bin ich eben, ich bin nicht mehr jung. Trotzdem« – sie redete zu sich selber –, »sogar als ich noch jünger war … ich hab nie viel Sinn darin gefunden, aufzubleiben, bloß weil da ein neues Datum anfängt und alles wieder von vorn losgeht, eins, zwei, drei, vier, fünf. Aber du bist da anders, du bist jung.«
Sie sah nun wieder Peggy an. »Aber du scheinst nicht grad viel Spaß zu haben, was, mein Kind?«
Sie griff nach Peggys Hand. »Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, du hättest Andrew nie heiraten sollen. Er hat alles hier im Haus verändert. Weißt du das? Ach sicher, meine Mutter ist ganz vernarrt in ihn. Aber ich nicht, Peggy. Nein, wirklich nicht. Nur zwischen dir und mir, ich bin es ganz und gar nicht. Ich weiß nicht, aber da ist was an ihm, ich will nicht grad sagen, daß er hinterhältig ist, aber irgendwas stimmt da nicht. Und ihr zwei kommt nicht gut miteinander klar, wie? Und dann ist da noch Emma. Er ist geradezu besessen von dem Kind. Ist dir das klar? Er ist verrückt nach ihr. Und das ist nicht richtig. Irgendwas stimmt da nicht, wie der sich mit dem Kind aufführt. Jetzt hat er ihr auch noch versprochen, daß er sie mit zum Schwimmen nimmt.«
Peggys Kopf fuhr herum, und sie
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