Die Frauen von Bramble House
machte die Augen auf. »Wann hast du das gehört?«
»Oh, ich hab ihn zu ihr sagen hören: Ich nehm dich mit zum Schwimmen, ins Stadtbad. Das wird dir Spaß machen, einen Riesenspaß … Ja, das hat er zu ihr gesagt … Aber weißt du was, warum gehst du nicht rüber zu May? Die haben an Silvester immer ein kleines Fest. Und ich bleib auf und kümmere mich um Emma.«
»Danke, Oma, aber du weißt ja, ich würde sie abends nie allein lassen. Außerdem, du würdest ja wahrscheinlich einschlafen.«
»Es ist keineswegs so, daß ich einschlafen würde.« Victorias Ton wurde kühler. »Hör mal zu, meine Liebe. Ich bin noch keineswegs völlig vertrottelt und verkalkt. Ich weiß genau, ich bin ein unzufriedenes altes Klageweib. Vielleicht stimmt es ja, und ich hab sonst nichts mehr als Trost im Leben übrig, als über meine Beschwerden zu jammern! Weißt du, ich kenne mich wirklich durch und durch! Wahrhaftig, Kind, das tu ich! Und darum sag ich dir, hör zu, du kannst später Klein-Emma zu mir ins Bett bringen und rübergehen und dort mit ihnen ins neue Jahr feiern. Und ich will kein Nein hören. Schön, falls ich einschlafe, dann wird auch Emma schlafen. Du mußt nämlich wissen, Kindchen, ich war selbst auch mal eine Mutter. Ich hab deine Mutter von klein auf gehabt, und willst du wissen, sie hat als Baby die ersten zwei Jahre lang fast nur gebrüllt. Ich hab damals keine Nacht ruhig schlafen können. Ach, doch, dein Großvater hat sich auch um sie gekümmert, soviel muß ich zu seiner Verteidigung sagen, und er hat das recht gut gemacht. Aber verstehst du, ich war auch einmal Mutter und hab ein kleines Kind gehabt, und ich weiß alles darüber. Und auch als du noch klein warst und Lizzie manchmal nicht aus und ein wußte, hab ich mich um dich gekümmert. Das hab ich wirklich und wahrhaftig.« Victorias Kopf nickte heftig auf und ab, und Peggy nickte mit einem mühsamen Lächeln ebenfalls. »Also, ich kann mich zwar nicht erinnern, was du damals, als ich noch ganz klein war, gemacht hast, Oma, aber ich erinnere mich, wie du mich auf deinen Knien reiten ließest, hoppe-hoppe, Reiter und so.«
»Genau. Ja, das hab ich. Wie nett, daß du dich daran noch erinnern kannst! Und weißt du auch noch Häuschen klein und all die anderen Lieder? Wir haben miteinander gespielt, wir zwei. Wenn dein Vater aus dem Haus war. Ach, ja, du meine Güte …« Und nun ließ sie sich auf die Couch zurücksinken und sah zum Kaminfeuer hinüber. »Es war schon ein seltsames Haus hier. So viele Menschen und ihr Leben, und kaum einer war glücklich damit, außer meiner Mutter.« Und jetzt wurde ihre Stimme scharf und schrill, und sie begann wieder mit dem Kopf zu wackeln. »Oh, die! Die war glücklich. Die hatte von Anfang an Glück, weil sie alle andren herumkommandieren durfte und sich als Schloßherrin aufspielen konnte. Jaja.« Sie stieß ein kurzes Lachen aus. »Wir haben früher immer drüben auf Shields Sands das gespielt. Die ›Königin in ihrer Burg‹. Weißt du noch?«
»Ja, Großmutter, ich weiß es noch.« Und nun klopfte Peggy sacht die Hand der alten Frau. »Wenn wir uns nur an die netten, die angenehmen Erlebnisse erinnern könnten und das andre abschütteln könnten … Aber es ist halt immer umgekehrt: Die üblen Erfahrungen wuchern wie Unkraut und ersticken jede freundlich Erinnerung, die du vielleicht noch hast.«
»Es gefällt mir ganz und gar nicht, daß du so redest, Peggy, mein Kind! Dazu bist du einfach noch zu jung. In zwanzig Tagen wirst du zweiundzwanzig sein. Dein Leben hat doch noch gar nicht richtig angefangen, und du redest wie eine alte Frau, die alles schon hinter sich hat.«
O ja, sie redete wirklich wie jemand, der das ganze Leben schon kennt und hinter sich hat, denn das hatte sie. Seit sie sechzehn war, hatte sie das Leben erfahren, und nichts daran war besonders gut und erfreulich gewesen, außer daß sie eine Tochter geboren hatte und auch herausgefunden hatte, wie die Liebe ist, aber auch, wie schmerzlich und wenig dauerhaft sie ist.
»So. Das wäre geklärt. Du verschwindest jetzt rüber … also, natürlich, nachdem du Emma ins Bett gesteckt hast, und du sagst May, daß du später noch vorbeischauen möchtest. Aber pack dich gut ein, Kind, bevor du da rausgehst, in dem Wäldchen ist es so kalt, daß du glatt erfrieren könntest. Ich bin sicher, wir kriegen bald Schnee. Und für den Abend, da ziehst du das neue Blaue an, das Wollkleid. Darin siehst du bezaubernd aus.«
Victoria stemmte sich hoch
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