Die Frauen von Clare Valley
wegen irgendetwas Sorgen?«
Er nickte.
»Geht es dabei um dich oder mich?«
»Uns beide. Es betrifft uns beide.«
Lola runzelte die Stirn. »Hast du Angst um dein Gedächtnis? Hast du mich deshalb nach meinem Geburtstag gefragt?«
»Nicht mein Gedächtnis, Lola. Deins .« Als sie protestieren wollte, hob er eine Hand hoch. »Geraldine ist es zuerst aufgefallen. Sie meint, dass du vergesslich wirst. Geheimnistuerisch. Sie hat dich wohl gestern im Büro aufgestöbert und sagt, du hättest dich sehr seltsam aufgeführt.«
»Tatsächlich? Und was habe ich getan? In Zungen gesprochen?«
»Sie sagt, du hättest am Computer gesessen und dir Erinnerungslisten geschrieben.«
»Mir selbst?«
Jim wirkte gehetzt. »Lola, ich weiß, sie hätte nicht an deine Dokumente gehen dürfen, aber Geraldine war besorgt. Sie hat mir erzählt, dass du dir selbst einen Fragebogen geschrieben hättest, um dich an dein Lieblingsessen, dein Lieblingsgetränk, an Lieder, Farben und so was alles zu erinnern. Sie hat wohl in einer Dokumentation gesehen, dass dazu geraten wird, wenn eine Demenz im Frühstadium diagnostiziert wird. Und außerdem hättest du gesagt, dass du glatt deinen Kopf vergessen würdest, wenn er nicht an deinen Hals geklebt wäre.«
»Geschraubt. Ich sagte geschraubt, nicht geklebt.«
»Und dass du vergessen würdest, welches dein Zimmer ist. Und du an manchen Tagen kaum noch laufen könntest.«
Lola setzte sich aufrecht hin und legte das Besteck beiseite. »Die gute Geraldine. Hör nur, wie besorgt sie ist. Was denn noch? Hat sie auch schon einen Vorschlag, was als Nächstes für mich angeraten ist?«
»Lola, nun sei nicht so. Du weißt, wie sehr ich dich liebe, wir alle lieben dich, aber du bist vierundachtzig. Du hattest ein anstrengendes, bewegtes Leben …«
»Und nun habe ich die Grenze erreicht, und es wird Zeit, mich einzuschläfern? Vielleicht kann Matthew das ja übernehmen. Dann bekommt ihr wenigstens Familienrabatt.«
Jim wirkte erleichtert, dass er endlich lachen konnte. »Lola, bitte. Es tut mir leid, dass ich mit der Tür ins Haus gefallen bin, aber gibt es irgendetwas, was du mir verheimlichst?«
»Ich verheimliche dir vieles. Unendlich vieles. Du bist mein Sohn. Du musst nicht wirklich wissen, was sich im Kopf deiner Mutter abspielt.«
»Wird dir das hier zu viel? Sind dir hier zu viele Menschen? Musst du zu oft das Zimmer wechseln? Hör zu, ich weiß wohl besser als jeder andere, wie meinungsstark du bist, doch glaubst du nicht, du wärst womöglich glücklicher, wenn du für dich allein wärst, in einem dauerhaften Domizil, mit allen nur erdenklichen Hilfsangeboten?«
»Worauf genau willst du hinaus?«
Er fasste neben sich. Lola hatte geglaubt, er hätte ihr die Zeitung mitgebracht. Doch es waren Broschüren von Altersheimen. »Wir drängen dich zu gar nichts, Lola, das verspreche ich dir. Aber vielleicht willst du in absehbarer Zeit ja mal darüber nachdenken.«
Sie bewahrte nur mit Mühe die Fassung. Am liebsten wäre sie aufgesprungen, hätte das nun sehr trockene Pilzomelette auf den Boden gepfeffert, ihren Sohn als Verräter beschimpft und sich auf die Jagd nach seiner bescheuerten Ehefrau gemacht und … sie in die Kühlkammer gesperrt? Stattdessen grub sie wieder die Nägel in die Handflächen, zählte innerlich langsam bis fünf und sagte dann mit sehr ruhiger Stimme: »Wie wundervoll. Wie besorgt ihr beide um mich seid. Und wohin steckt ihr mich? Muss ich auf der Stelle packen?«
»Wir ›stecken‹ dich nirgendwo hin. Und natürlich haben wir keinen bestimmten Termin im Sinn. Ich hab das verbockt, oder? Lola, hör zu, ich wollte mit diesem Thema warten, bis Weihnachten vorüber ist, doch ich muss dir noch etwas sagen.«
Da wusste Lola, was kommen würde. »Du und Geraldine, ihr zieht fort, oder? Zumindest wollt ihr es?«
Er sah schockiert und im nächsten Augenblick erleichtert aus. »Hast du uns darüber reden hören?«
»Nein.« Aber plötzlich ergab so vieles Sinn. Dass sie in letzter Zeit so nachlässig bei Reparaturen waren. Sich entschieden hatten, dieses Jahr den Veranstaltungsraum nicht für Weihnachtsfeiern zu vermieten …
»Wir sind bereit, das hier hinter uns zu lassen, Lola. Wir sind nach Annas Tod …« Jim brach ab. Er brachte den Namen seiner Tochter kaum über die Lippen. »Und es wird für Geraldine nicht leichter, ganz gleich, wie viel Zeit vergeht.«
In dem Moment fühlte Lola mit ihrer Schwiegertochter.
Jim fuhr fort. »Anfangs wollten wir hierbleiben,
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