Die Frauen von Clare Valley
es ist Weihnachten, Lola. Das ist die Zeit der Familie. Die sollten Ellen und ich gemeinsam verbringen.«
»Fällst du jetzt auch schon auf die Werbung rein? Auf dein eigenes Metier? Glenn, Weihnachten ist kein weltweiter Tag der Glückseligkeit. Der Druck und die Erwartungen sind viel zu groß. Warum zeigen wir ihr dieses Jahr nicht mal eine andere Art von Weihnachten? Du feierst mit Denise und ihrer Tochter. Ich hätte Ellen hier bei mir. Ich würde sie hier vor Ort verwöhnen. Du aus der Distanz. Aber wir sollten ihr die Wahrheit sagen, dass ich dich gebeten habe, sie zu mir zu schicken.«
»Was? Ihr sagen, dass du mich aus heiterem Himmel angerufen und gesagt hast, dass du Weihnachten ihre Hilfe benötigst, also würde ich sie bitte in ein Flugzeug setzen?«
»Aber genau so war es doch, oder? Also wäre es die Wahrheit. Denk darüber nach, Glenn. Sprich mit ihr, wenn du nach Hause kommst. Ich bin den ganzen Abend in meinem Zimmer. Sag ihr bitte, dass sie mich jederzeit anrufen kann, falls sie die Fakten überprüfen will.«
Ellens Anruf kam genau zwei Stunden später. »Stimmt das wirklich, Lola? Du brauchst mich wirklich?« Die Tränen waren noch immer nicht versiegt, doch Ellen klang schon bedeutend fröhlicher. »Ich würde gern kommen. So gern. Dann kann Dad mit Denise und Lily feiern, ich muss das nicht, und wir wären beide glücklich. Bist du sicher?«
»Ich bin kein Ticket in die Bequemlichkeit, und das wird auch kein Urlaub, Ellen. Du wirst dir jede einzelne Minute hart erarbeiten müssen. Darüber bist du dir im Klaren?«
»Wirst du mich bezahlen, oder gilt das als Sklavenarbeit?«
Lola lachte. »Das entscheiden wir, wenn ich dich in Aktion erlebe.«
»Danke, Lola. Ich danke dir sehr, sehr, sehr.«
»Sehr, sehr, sehr gern. Unter einer Bedingung.«
»Ich höre.«
»Dass du von jetzt an höflich zu Denise und Lily bist. Mehr als das. Ich möchte, dass du dich so gut und höflich benimmst, wie du meines Wissens kannst. Ich möchte, dass du dich so benimmst, dass ich stolz auf dich sein kann und das auch deine Mutter, deine Großeltern, deine Tanten und Onkel könnten. Du, könnten sie dich sehen, ein gutes Vorbild für deine Cousinen und Cousins wärst.«
Schweigen.
»Ellen?«
»Und wie willst du herausfinden, ob ich das wirklich mache?«
»Ich habe einen Spion in dein Zuhause eingeschleust. Er tarnt sich als dein Vater.«
»Ich werde es versuchen.« Pause. »Ehrlich, Lola, versprochen. Das wird jetzt sowieso viel leichter, jetzt, da ich weiß, dass ich Weihnachten nicht mit denen verbringen muss.«
Wie schön, mein kleiner listiger Plan geht also auf, dachte Lola. »Es gibt da nur noch eine Kleinigkeit. All das muss unter uns bleiben. Wenn deine Großeltern und Tanten wüssten, dass du überraschend zu Besuch kommst, würden sie ihre Urlaubsreisen absagen, und das will keiner von uns. Ich spreche mit deinem Vater, und wir werden deine Flüge so legen, dass du noch alle sehen kannst. Versprochen. Du bist mein ganz besonderes Weihnachtsgeheimnis, und wenn zu Silvester alle wieder im Valley sind, zaubere ich dich aus dem Hut hervor. Okay?«
»Das klingt großartig «, erwiderte Ellen. »Ich spiele gern dein Geheimnis.«
»Braves Mädchen.«
In beiden Stimmen klang ein Lächeln mit.
Kapitel 13
Gast 1
Als Neil sein Zimmer verließ, sah Rick überrascht auf.
»Jetzt guck nicht so schockiert.«
»Bin ich aber, tut mir leid. Ich hab dich seit Wochen nicht gesehen.«
»Ich muss zum Arbeitsamt.«
»Stimmt, da war was in der Post. Sind die dir auf den Fersen?«
Ein Schulterzucken. »Der übliche Mist. Wollen mir die Bezüge kürzen, wenn ich nicht ›persönlich vorstellig‹ werde.«
»Willst du hinterher was trinken gehen?«, fragte Rick. »Geht auf meinen Deckel.«
»Nein, danke.«
Rick wartete, bis die Wohnungstür zugefallen war. Und noch ein wenig länger, damit Neil auch sicher fort war. Denn was Rick nun tun würde, brach alle Regeln unter Mitbewohnern. Aber wie oft bekam man einen Anruf wie den am Vortag bei der Arbeit von Neils Mum? Sie war in Tränen aufgelöst gewesen. »Ich mach mir solche Sorgen um ihn, Rick. Er behauptet zwar immer, dass alles okay ist, doch das stimmt nicht. Nimmt er etwa Drogen? Ist es das? Hast du beobachtet, dass er irgendetwas nimmt? Oder trinkt er?«
Rick hatte ihr die Wahrheit gesagt. »Ich sehe ihn kaum noch. Er bleibt die ganze Zeit in seinem Zimmer.«
»Irgendetwas stimmt da nicht, das weiß ich. Bitte, Rick, könntest du in seinem Zimmer
Weitere Kostenlose Bücher