Die Frauen von Clare Valley
nachsehen? Irgendwann muss er das Haus doch mal verlassen.«
»Eben nicht, Mrs Harris, tut mir leid, er hockt in seinem Zimmer, wenn ich zur Arbeit gehe, und auch, wenn ich nach Hause komme. Er macht wohl gerade eine harte Zeit durch. Und will seine Ruhe haben.«
»Aber das geht schon monatelang so. Rick, bitte, wenn sich irgendeine Gelegenheit ergibt, könntest du mal nachsehen? Ob Drogen oder Alkohol im Spiel sind? Wenn ich weiß, was los ist, kann ich vielleicht was unternehmen.«
»Aber ich schnüffle doch nicht rum!«
»Rick, bitte, ich komme bald um vor Sorge.«
Schließlich hatte er widerstrebend eingewilligt. Auch er hatte sich anfangs Sorgen gemacht, als sich Neil in seinem Zimmer verbarrikadiert und auf jeden Vorstoß, ein Bier zu trinken oder etwas essen zu gehen, mit einem Nein reagiert hatte. Doch er konnte nicht ewig vor verschlossener Tür herumrufen und versuchen, Neil zu irgendwelchen Unternehmungen zu überreden. Irgendwann hatte er’s kapiert. Neil wollte seine Ruhe. Konnte Rick verstehen. Ging ihm auch manchmal so.
Doch Mrs Harris hatte nicht lockergelassen. Und das war wahrscheinlich die beste und einzige Gelegenheit auf lange Sicht. Wer weiß, wann Neil das Haus noch mal verließ. Rick ging zu Neils Tür. Bestimmt war sie abgeschlossen. Neil war in letzter Zeit so geheimnistuerisch, er würde seine Zimmertür kaum offen stehen lassen. Sie war verschlossen. Doch Neil ahnte sicher nicht, dass Rick einen Ersatzschlüssel hatte. Der Mietvertrag lief auf seinen Namen, er hatte zu allen Zimmern einen Zweitschlüssel. Er kam sich mies vor, schäbig, doch er musste die ganze Zeit an Mrs Harris denken. Rick holte den Schlüssel und öffnete die Tür.
Als Erstes fiel ihm der Geruch auf. Es stank nicht nach Alkohol oder irgendwelchen Drogen, es roch nach abgestandener Luft. Die Jalousien waren unten. Die einzige Lichtquelle war der Computermonitor, der in einer Ecke leuchtete. Der Drucker, ebenfalls eingeschaltet, summte. Daneben stand das Radio. Es war stumm.
Rick machte kein Licht an. Vom Flur kam genügend Helligkeit. Neils Zimmer war überraschend ordentlich. Rick wusste nicht, was er erwartet hatte – dreckige Klamotten, leere Pizzaschachteln, Müll. Es sah … ja, es sah ganz normal aus. Jedenfalls nicht wie eine Drogenhöhle.
Er musste loslegen. Ihm blieb weniger als eine Stunde, um zu finden, was immer er suchte. »Tut mir leid, Mann«, sagte er laut. »Aber ich tu das hier für deine Mum.«
Er schaute ins Nachtschränkchen, in den Kleiderschrank, unter das Bett, die Kissen. Sollte er lieber Handschuhe tragen? Damit er keine Fingerabdrücke hinterließ? Zumindest achtete er darauf, alles wieder sorgsam an seinen Platz zu legen. Er sah nichts Ungewöhnliches – keine Wodkaflaschen, keine Spritzen, keine Blättchen, nicht mal Gras. Das Aufregendste waren ein paar Röhrchen mit Schlaftabletten in einer Schublade. Das war nicht weiter alarmierend, so was nahmen massig Leute.
»Irgendetwas stimmt mit ihm nicht«, hatte Mrs Harris gesagt. »Er ist so anders. Wenn du irgendetwas finden könntest, irgendeinen Hinweis, bitte, Rick …«
»Ich schwör dir, Mann, deine Mutter hat mich angefleht«, sagte er noch einmal laut. Er ging zum Computertisch. Öffnete die Schubladen. Auch hier nichts Auffälliges. Stifte, Umschläge. Auf dem Drucker lagen einige Blätter. Rick nahm sie, ganz vorsichtig, in zwei Finger. Es war ein Busticket samt Beförderungsbestimmungen. Rick runzelte die Stirn. Neil hatte nichts von einer Reise gesagt. Aber in letzter Zeit hatte er kaum etwas gesagt. Rick ging in den Flur, wo es heller war, weil er das Licht im Zimmer noch immer nicht einschalten wollte. Was er las, vertiefte das Stirnrunzeln. Neil hatte offenbar für Heiligabend eine Bustour zu einem Ort namens Clare gebucht. Ohne Rückfahrschein. Wollte er da hinziehen? Wo lag Clare überhaupt? Auf dem Drucker wartete noch ein Blatt. Eine Buchung auf den Namen Neil Harris, von einem Motel namens Valley View, ebenfalls in Clare. Für drei Nächte. Über Weihnachten.
Rick sah auf die Uhr. Seine Suchaktion hatte schon eine Viertelstunde gedauert. Ihm blieben höchstens noch vierzig Minuten. Er ging zur Haustür und legte die Kette vor. Falls Neil überraschend zurückkam, gab ihm das genügend Zeit, schnell das Zimmer zu verlassen.
Reichte das, um Mrs Harris anzurufen? War das der Hinweis? »Ihr Sohn verhält sich so ruhig und so komisch, weil er sich eine Fahrt mit dem Bus gebucht hat, irgendwohin weit weg.«
Wenn
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