Die Frauen von Clare Valley
vierten. Waren das Seiten über neue Filme? Computerspiele? Sehr sonderbare Pornoseiten? Doch je mehr er las, je mehr Seiten er besuchte, umso deutlicher wurde ihm, was Neil in den vielen Stunden und Tagen in seinem Zimmer getrieben hatte.
Er hatte recherchiert, wie man Selbstmord beging.
Ricks Hände zitterten. In Panik schloss er die Seiten, klickte, so wie es ihm seine Schwester erklärt hatte, auf »Schließen«, zog sich Seite um Seite zurück, zurück aus Neils heimlichem Leben. Er fluchte laut, überzeugt, dass Neil jeden Moment kommen und ihn erwischen würde. Schließlich sah der Bildschirm wieder aus, als hätte Rick den Computer niemals angerührt. Er schob den Stuhl zurück. Er wollte nur raus aus diesem Zimmer. Er hatte das Handy schon in der Hand, als er die Tür abschloss.
»Mrs Harris? Ich bin’s. Ich glaube, Sie sollten kommen. Dringend.«
Gäste 2 und 3
Das Telefon klingelte. Tony reagierte nicht. Helen war fort, einkaufen. Er nahm schon lange keine Anrufe mehr entgegen. Es fiel ihm zu schwer, höflich mit Menschen zu plaudern, die sowieso nicht mit ihm sprechen wollten. Nach dem Unfall war er eine Woche lang nicht zur Arbeit gegangen, bis Helen ihm einen Tritt gegeben hatte. »Deine Mitarbeiter brauchen dich.«
Das Telefon klingelte noch immer. Schließlich ging er an den Apparat und hörte mit kleiner Verzögerung die warme, vertraute Stimme seiner Tochter. »Dad! Wie geht’s dir? Ist es bei euch immer noch so heiß? Hier ist es bitterkalt . Stell dir vor, ich hab eine Thermojacke an, eine Bergsteigerin ist nichts dagegen!« Sie redete wie üblich wie ein Maschinengewehr. »Was ist mir dir? Geht’s dir gut?«
»Nicht übel«, antwortete er. »Deine Mum ist unterwegs. Soll ich ihr was ausrichten, soll sie zurückrufen? Ist alles in Ordnung?«
»Alles super. Ich bin bei den Weihnachtsplanungen. Ich wollte eine Zeit für unseren Anruf festlegen. Ich will nicht stören, wenn ihr irgendwo Weihnachtslieder singt oder gerade am Strand seid.«
»Am Strand ganz sicher nicht. Wohl eher in den Weinbergen.«
»Was?«
»Wir fahren über Weihnachten weg. War die Idee deiner Mutter. Irgendwo nach South Australia. Wir fahren Heiligabend los. Und wir bleiben, soweit ich weiß, drei Tage. In einem Städtchen namens Cla…«
»Das geht nicht!«
»Was?«
»Ihr könnt nicht fahren. Hör zu, ich meld mich wieder. Ich muss dringend telefonieren. Ich ruf zurück. Bye.«
Zehn Minuten später, Helen kam gerade mit den Einkäufen nach Hause, klingelte das Telefon erneut. Tony hatte noch keine Gelegenheit gehabt, seiner Frau von dem Anruf zu erzählen. Auch diesmal ging er an den Apparat. Es war nicht Katie. Es war Liam, aus Barcelona.
»Dad? Was hör ich da? Kurzurlaub über Weihnachten? Ihr fahrt doch nie über die Feiertage weg.«
»Dieses Jahr wohl. Warte. Ich gebe dir deine Mutter.«
Tony beobachtete seine Frau, die offenbar die gleichen Dinge hörte. Sie lächelte. »Hallo auch, Schatz. Ja, deinem Dad und mir geht es gut. Nein, ich weiß, dass wir sonst nie …« Sie lachte. »Mir war nicht bewusst, dass meine Kinder solche Gewohnheitstiere sind. Wieso? Weil wir Luftveränderung brauchen. Wir fahren Heiligabend los. Es sind etwa fünf Stunden und …« Sie sah fassungslos zu ihrem Mann. »Liam hat einfach aufgelegt.«
Gast 4
»Mrs Kaminski? Hallo, hier ist Glenda aus Melbourne, die Aushilfssekretärin Ihrer Tochter. Ja, finde ich auch, es war wirklich nett, mit Ihnen zu sprechen. Mrs Kaminski, ich hoffe, Sie nehmen mir nicht allzu übel, dass ich mich nun in Dinge einmische, die mich nichts angehen. Mir ist sehr bewusst, dass ich Grenzen übertrete und ein altes Sekretärinnengesetz breche, aber, offen gestanden, verstehe ich mich in meinem Job auch als Feuerlöscher und Lösungsfinder für scheinbar unüberwindbare Probleme. Haben Sie eine Minute? Es geht um Weihnachten. Ihre Tochter und Weihnachten, genauer gesagt. Ich hätte da eine Idee.«
Gäste 5, 6 und 7
June bekam das Bild von Belle und Chloe partout nicht aus dem Kopf. Sie musste sogar ihrem Mann davon erzählen.
»Das ist nicht in Ordnung, Bill. Das sind doch kleine Kinder, und ihre Eltern benutzen sie als Spielbälle. Holly ist total erschöpft. Ich bin sicher, dass sie den größten Teil der Mutterrolle übernimmt und der Vaterrolle, weil ihre selbstsüchtigen Eltern sich die ganze Zeit nur anschreien. Ich habe Holly schon gesagt, dass ich sie am liebsten mit den Köpfen aneinanderschlagen würde. Die stehen sich mit ihren
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