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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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etwas tun können. Das Einzige, was Edwin gerettet hätte, wäre, dass die Deutschen das Schiff nicht torpediert hätten. «
    Sie ließ seinen Arm los, sodass die Hand an ihre Seite sank, und straffte entschlossen die Schultern.
    » Na gut « , meinte Sibyl ganz ruhig. » Dann ist also alles nur eingebildet. Es existiert nur in meinem Kopf. Dann kann es ja nicht schaden, es noch einmal zu probieren, stimmt’s? «
    » Was meinen Sie? «
    » Wenn die Bilder, die ich gesehen habe, wirklich nur eine Ansammlung von Ideen aus meinem Unterbewusstsein sind « , sagte Sibyl, » wenn sie also nur Veränderungen unterliegen, die sich ebenfalls bloß in meinem Denken abspielen, dann müsste die Vision grundlegend die gleiche bleiben, wenn ich es noch einmal probiere, ganz egal, was gerade geschehen ist. Richtig? «
    » Wissen Sie eigentlich, was Sie da gerade vorschlagen? « , sagte er mit Verzweiflung in der Miene. » Obgleich sowohl Ihr Vater als auch ich Sie vor den Gefahren gewarnt haben? «
    Sibyls Augen wurden so schwarz wie Obsidian, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. In dieser Haltung zitterten wenigstens nicht ihre Hände. » Ist mir egal. Ich werde es noch mal probieren. «
    » Sibyl « , warf er ein, doch sie beachtete ihn gar nicht.
    Stattdessen kehrte sie ihm den Rücken zu und machte sich an ihrem Frisiertisch zu schaffen. Sibyl hatte immer noch die Flasche Laudanum, die sie von ihrem Vater stibitzt hatte, und es waren noch einige Messstriche der bernsteinfarbenen Flüssigkeit übrig. Sie zündete einen Kerzenstummel an, warf das Streichholz in den Kaminrost und blieb einen Moment lang stehen, strich nachdenklich mit den Fingern über die Holzschachtel mit der Kristallkugel.
    Sie goss ein Quantum Laudanum in das Sherryglas, das mittlerweile permanent auf dem Beistelltisch stand. Dann trug sie es, zusammen mit der Kerze und der Kugel, zu dem flachen Tischchen vor dem Kamin hinüber und ließ sich in den Sessel fallen.
    Mit besorgter Miene sank Benton in seinen Stuhl zurück und verschränkte die Hände. » Das ist keine gute Idee « , murmelte er. Aber er machte keine Anstalten, sie aufzuhalten. Plötzlich lud sich Spannung in dem Raum zwischen ihnen auf. Das Feuer knisterte.
    Sie nahm einen kleinen Schluck aus dem Sherryglas. Seltsamerweise störte der bittere Geschmack sie nicht mehr so sehr wie vorher. Sie hätte nicht gerade gesagt, dass es ihr schmeckte, doch fast … freute sie sich darauf. Während sie die schädliche Flüssigkeit schluckte, kramte Benton in seiner Manteltasche nach den Zigaretten und beugte sich vor, um sich an ihrer Kerze eine anzuzünden.
    Er lehnte sich zurück, inhalierte mit zusammengekniffenem Auge, um den Rauch seiner Zigarette abzuhalten, und beobachtete Sibyl genau. Sie trank noch einen Schluck von der Laudanum-Mischung und bemerkte, wie er sich selbst unbewusst über die Lippen leckte, während die Flüssigkeit ihren Mund benetzte.
    » Ist schon in Ordnung, Ben « , versuchte sie, ihn zu beschwichtigen, stellte das Glas beiseite und lehnte den Kopf an ihre Stuhllehne, während sich eine wohlige Schwere in ihren Gliedern breitmachte. » Mir geht es bestens. «
    » Das werden wir sehen « , sagte er und ließ sie nicht aus den Augen.
    Sie runzelte die Stirn, beschloss jedoch, über die letzte Bemerkung nicht weiter nachzudenken. Der Rauch stieg von seiner Zigarette hoch, die einzige Bewegung in dem ansonsten stillen Raum. Sie wartete, bis die Schwere, diese köstliche Trägheit ihr wieder vertraut war und ihr sagte, dass sie genau die richtige Ebene für das erreicht hatte, was sie tun wollte. Dann klappte sie die hölzerne Schachtel auf und nahm die Kugel aus ihrem Samtbett.
    Zu Beginn sah die Oberfläche der Kugel matt und milchig-blau aus, wie mit Quarzadern durchsetzt. Sibyl lehnte sich in ihren Stuhl zurück und hielt sich die Kugel nahe ans Gesicht. Sie richtete ihren Blick auf die Oberfläche, wo sich die Lichtreflexe von der Kerze in unzählige warme, orangerote Sprenkel verteilten. Bentons Gesicht verschwamm und rückte immer mehr in den Hintergrund.
    Zu Beginn des Jahres hatte Sibyl eine Ausstellung von Bildern in der Copley Society of Art besucht. Dort in der schmalen Galerie an der Newbury Street hatte sie sich ein Gemälde angeschaut, das zunächst nur aus einer Anzahl von Farbklecksen zu bestehen schien, viele verschiedene Farben, die in einer ungereimten Masse miteinander im Wettstreit standen. Doch als sie ein paar Schritte zurücktrat und sich jeweils

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