Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Gastgeber Tränen in den Augen hatte. Die Hand des unbekannten griechischen Künstlers hatte ein schönes, fleischiges Frauengesicht mit Grübchen und eine volle Büste aus dem Marmor geschlagen. Menelaos sagte seufzend in Erinnerung:
»In dieser Zeit hat sie sich noch nicht geschminkt. Sie verwendete die edlen, aber einfachen Hausmittel der spartanischen Amazonen. In Troja jedoch benutzte sie schon gern geheimnisvolle orientalische Schönheitsmittel. Ich spreche es nicht gern aus, aber auch das gehört schließlich zur Geschichte … Ja, so war sie.«
Er hob die Hand und fuhr feierlich fort:
»Aber sie war nicht der Grund für den Trojanischen Krieg.«
Vor Überraschung wagte ich keinen Ton zu sagen. Alles, was ich in diesem Augenblick und auch schon vorher in der Welt der Menschen erlebt hatte, schien mir rätselhafter zu sein als die Geheimnisse der göttlichen Welt. Dass ich, Ulysses’ unehelicher Sohn, der Fürst vom Lande mit mangelhafter Bildung, von dem einzigen zuständigen Zeitgenossen den wahren Grund für den Trojanischen Krieg erfahren sollte, verschlug mir die Sprache. Menelaos trottete zum Diwan zurück und ließ sich in die weichen Kissen fallen. Gierig trank er, als müsste er sich stärken und vor den Erinnerungen schützen. Lautlos ging ich ihm hinterher und setzte mich wieder auf das niedrige Taburett, dem Heerführer gegenüber. Aufmerksam beobachtete ich ihn und biss mir auf die Lippen, weil ich vor Aufregung fast platzte.
XIII
»Der Grund für den Trojanischen Krieg«, sagte Menelaos mit der rauen, tiefen Stimme des Weintrinkers, »war wirtschaftlicher Natur. Wenn ich mit meinen Memoiren fertig bin, wird die Welt die vollkommene Wahrheit erfahren. Es ist unleugbar und eine historische Tatsache, dass im Trojanischen Krieg, wie in allen Heiligen Kriegen, sehr viel gestohlen wurde. Ich glaube, Nestor singt auch über dergleichen und auch einige meiner Generäle.« Er schien nervös zu sein. »Weißt du vielleicht, Junge, ob Ulysses auch an seinen Memoiren arbeitet?«
Diese Möglichkeit beunruhigte ihn offensichtlich. Er beugte sich vor und wartete gespannt auf meine Antwort. Bedacht antwortete ich, dass ich nie von so etwas gehört hätte. Weder meine Mutter noch Hermes hätten erwähnt, dass mein strahlender Vater irgendwo seine Erinnerungen diktierte. Meine Worte beruhigten den eifersüchtigen Heerführer ein wenig. Er schnaufte und fuhr heiser, mit belegter Stimme fort.
»Ulysses kann farbig formulieren, und er hat gewisse Qualitäten beim Vortrag«, näselte er arrogant. »Aber auf die Geschichtsschreibung versteht er sich nicht. Das Volk braucht natürlich Legenden. Trotzdem sollte man offiziell den weitverbreiteten Irrglauben widerlegen, dass mit dem Trojanischen Krieg Rache für das von Paris verletzte Gastrecht genommen wurde. Für ein Gastrecht, das unserem Volke hoch und heilig ist und das dieser abscheuliche Bengel wirklich schändlich verletzt hat, als ich aus Sparta fort war und in Kreta die Gastfreundschaft meines alten Freundes Idomeneus, des wortgewaltigen Königs, genoss. Der Ruf meiner Frau ist natürlich untadelig!« Er sprach laut und feierlich. »In Argos und im ganzen Mittleren Osten gibt es niemanden, der so verworfen und geschwätzig ist, dass er es wagen würde, den guten Ruf der ältesten Tochter des Tyndareos im Zusammenhang mit dem Trojanischen Krieg mit seinem schmutzigen Mundwerk zu besudeln. Meine Frau war an allem, was geschehen ist, vollkommen unschuldig, und ich habe dafür gesorgt, dass diese historische Tatsache an Spartas Schulen gelehrt wird.« Er räusperte sich wieder. »Aber das Gastrecht hat dieser gewalttätige Räuber zweifellos verletzt. Trotzdem fällt es schwer zu glauben, dass die griechischen Fürsten, mein edler jüngerer Bruder Agamemnon, dann Nestor, der auch damals schon alt war, Achilleus, der Vorsichtige, der gern Mädchenkleider trug, und schließlich ich selbst, also die Creme de la Creme des Griechentums in den Kampf zieht und mit über hundert Schiffen zu den Mauern Ilions fährt, nur um eine gesellschaftliche Ungebührlichkeit zu rächen. Kann man eine der größten militärischen Unternehmungen der Weltgeschichte, das Aufblühen der Kriegsindustrie sowie den Einsatz modernster Kampfmittel bei nüchternem Verstand wirklich als Folge des verletzten Stolzes eines Privatmannes betrachten? Ist es vorstellbar, dass so professionelle Soldaten wie Diomedes und die beiden Aias an einer Militäraktion teilnehmen, die keine ernsthafte
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