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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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wir beide geopfert und dann die Götter mit unseren Wünschen bedrängt haben. Ich bat um einen männlichen Nachkommen, Paris um eine Frau. Aphrodite hat unsere Wünsche erfüllt. Aber im Nachhinein haben wir erfahren, dass wir beide unsere Bitten falsch formuliert hatten. Es wäre klüger gewesen, wenn Paris um einen männlichen Nachkommen und ich um eine andere Frau gebeten hätte. So traf dann alles verhängnisvoll ein, weil die Götter auch die falschen Wünsche erfüllen.« Er ächzte. »Versprich mir, dass du das alles deiner flechtenschönen Mutter erzählst!«
    Mit wohlerzogenem, eifrigem Nicken versicherte ich, dass ich jedes seiner Worte im Gedächtnis bewahren und treu weitererzählen würde. Der weltberühmte, alte Held war offensichtlich einsam und verlassen und freute sich, dass er mit jemandem reden konnte. Man musste ihn nicht ermutigen. Zwischen zwei Schlucken sagte er mit stolpernder Zunge:
    »Du willst aber etwas über deinen Vater hören.« Er seufzte. »Das ist natürlich, wenn mich auch die Erfahrung und die Kenntnis der Geheimnisse von Volkserziehung und Staatsführung lehren, dass es Individuen des öffentlichen Lebens gibt, über deren Taten man im Interesse des Volkes besser schweigen sollte. Dein Vater …«, Menelaos atmete schwer, »ist ein außergewöhnlich eitler Mann. Bedaure, doch ich muss dir die Wahrheit sagen. Er konnte keine Konkurrenten ertragen … weder im Bett noch am Tisch, noch auf dem Schlachtfeld. Seine Eitelkeit hat ihn aus der Heimat fortgejagt, sein ungebremster Ehrgeiz trieb ihn aufs Schlachtfeld, wo ihn wiederum seine Eitelkeit in wahnwitzige und unrühmliche Abenteuer verwickelte. Jetzt habe ich es ausgesprochen«, sagte er ernst und trank. »Als ich deinen Vater zusammen mit meinem jüngeren Bruder Agamemnon und dem hervorragenden Palamedes in Ithaka besuchte, um ihn zum Bündnis zu rufen, scheint Ulysses sein Schicksal geahnt zu haben. Was willst du?«
    Mit erhobener Stimme, damit der taube, alte Herr meine Worte auch verstand, fragte ich neugierig:
    »Edler und wohlgeharnischter Menelaos! Schon vorhin, als ich dein Gemach betrat, hörte ich diesen Namen. Wer war Palamedes?«
    Der Heerführer formte mit seinen haarigen Händen einen Trichter um sein Ohr, so strengte er sich an. Dann stöhnte er auf:
    »Ist’s möglich? Jetzt, zwanzig Jahre nach dem Fall Ilions, gibt es junge Menschen auf der Welt, die den Namen Palamedes nicht kennen?«
    Mit gesenktem Haupt, aber brüllend verteidigte ich mich, dass meine Geschichtskenntnisse lückenhaft seien und ich nicht wisse, wer dieser Mensch war; wegendessen Menelaos meinen Vater eines Justizmordes bezichtigte.
    »Junge«, sagte Menelaos und zog misstrauisch die struppigen, graublonden Augenbrauen zusammen, »was ich höre, macht mich traurig. Jetzt erkenne ich, dass ich mich mit meiner Arbeit beeilen muss und dass es an der Zeit ist, die wahre Geschichte des Trojanischen Krieges zu schreiben. Groß ist die Unwissenheit in der Welt und zahlreich sind die Missverständnisse. Weißt du überhaupt, warum der Trojanische Krieg geführt wurde?« Argwöhnisch sah er mich an.
    Ich wurde rot. Zwar hatte ich etwas gehört, wusste aber nicht, ob es sich gehörte, dieses wirre Wissen gerade im Hause meines Gastgebers vorzubringen.
    »Ich war Privatschüler«, stotterte ich verlegen. »Meine Mutter hat mich unterrichtet. Ich habe gelernt, dass deine hehre Frau, die strahlende Helena …«
    Menelaos erhob sich mühsam. Er winkte mir, dass ich schweigen solle. Der dicke, schwerfällige, alte Mann war jetzt überraschend würdevoll. Seine Diener wollten ihm zu Hilfe eilen, doch er bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, dass er allein auf seinen Füßen stehen konnte. Der Fleischberg ging, auf seinen Stock gestützt, zweimal langsam durch das Zimmer. Vor der Marmorstatue blieb er stehen, beugte sich vor und sah sich aufmerksam eine Weile die in Marmor erstarrten, edlen Züge seiner Gattin an. Dann hob er seinen Stock und winkte mir, näher zu kommen. Mit zwei Fingern zog er mich am Ohr und zwang mich so, mich ebenfalls vorzubeugen und mit ihm zusammen aus unmittelbarer Nähe das fürchterlich und schwelgerisch schöne, üppig weibliche Gesicht anzusehen.
    »So war sie«, sagte er düster, »als ich sie vor der Pest in Sparta nach Troja schickte. Der Pest entkam sie dort, aber sie lernte dieses lüsterne Bürschchen kennen. Sieh sie dir gut an. Dieses Gesicht gehört nun der Geschichte an.«
    Erschüttert sah ich, dass mein berühmter

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