Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
darüber Bescheid. Die Zahlen haben einen geheimen Sinn.«
Wieder lehnte er sich zurück und sann mit geschlossenen Augen vor sich hin.
»Palamedes, sagst du!«, fuhr er dann fort und sprach nun leiser und trauriger. »Er verstand sich auf die Dinge der Erde, aber er kannte auch die Geheimnisse des Sternenhimmels. Aus den Veränderungen der Sterne und den Zusammenhängen der himmlischen Landkarte zog er Rückschlüsse auf die Einteilung der Tageszeiten, und aus dieser Erfahrung stellte er den Plan für die Wachablösungen zusammen. Leider haben die fetten Bissen, die für Armeelieferanten abfallen, auch ihn verführt, genau wie deinen Vater …«
»Wie?«, fragte ich unwillkürlich empört. »Mein Vater hat sich im Trojanischen Krieg mit der Belieferung des Heeres beschäftigt?«
Menelaos öffnete die verklebten Augen und sah mich erstaunt an:
»Ob er sich damit beschäftigt hat? Er hat sich vorrangig nur damit beschäftigt. Leider war er zu gierig und hat sich viele Feinde gemacht. Der eifersüchtige Zweikampf, der zwischen deinem Vater und Palamedes vom ersten Moment des Heiligen Krieges an im Verborgenen wütete, war nicht nur eine Frage der Eitelkeit. Auf die Logistik verstehen sich alle Griechen, also auch meine Generäle … Daran ist nichts Besonderes. Aber Palamedes verstand sich auch darauf besser. Ulysses’ lang unterdrückte Wut, sein Groll, dass Palamedes ihn entlarvt hat, als er Wahnsinn vortäuschen wollte, damit er nicht in den Krieg ziehen muss, hat das Herz deines Vaters mit der Zeit vergiftet. Schließlich war er nicht der einzige griechische General, der sich in der Stunde der Gefahr versteckt hat, um nicht aufs Schlachtfeld hinauszumüssen. Auch von Achilleus könnte ich in meinen Memoiren dies und jenes erzählen. Doch wir wollen nicht das Andenken der verstorbenen Helden trüben. Aber Ulysses lebt … Ja, er wollte Hafer und Lebensmittel für mein Heer liefern, Palamedes indes war geschickter und nahm ihm diese vielversprechende Möglichkeit aus der Hand. Diese und noch viele andere Fertigkeiten, wie beispielsweise, dass er im griechischen Heer die in Männerkleidung gekleidete Tochter des karythischen Trachion entdeckte … Das Mädchen steinigten wir später … All das konnte dein Vater Palamedes nicht verzeihen. Die historische Wahrheit ist, dass Palamedes’ Beliebtheit während des langen Krieges immer weiter zunahm. Der Stern deines Vaters aber sank. Deshalb tötete er ihn eines Tages unter einem unwürdigen Vorwand. Der beste Sohn Hellas’ fiel ins Grab, als wir die Leiche des großen Palamedes am Ufer von Aiolia, gegenüber der Insel Lesbos, bestatteten!«, sagte Menelaos gerührt.
All das war mir völlig neu. Die Aussicht, aus dem speichelspritzenden, geschwätzigen Mund des redseligen, greisen Heerführers Geheimnisse über meinen Vater und die wahre Geschichte des Krieges um Troja zu erfahren, ließ mich wortlos lauschen. Ich verbiss mir meine Fragen und wartete begierig, was noch folgen würde. Menelaos musste man nicht ermuntern. Palamedes und alles, was mit dem Trojanischen Krieg zusammenhing, war offensichtlich zwanghaft wichtig für ihn. Er erinnerte sich:
»Seinen Tod hat sein edler Vater Nauplios gewissermaßen gerächt, indem er die heimfahrenden Griechen mit Leuchtfeuern zwischen die Klippen von Euboia gelockt hat. Aber Ulysses entging der Rache und der Gefahr. Übrigens hat die Leuchtfeuer auch Palamedes erfunden … Er, Der-mit-den-Händen-geschickt-war, wusste, dass die menschliche Hand eine wichtige Rolle bei der Schöpfung spielt. Er verstand sich auch auf das Gesundwerden und Gesundmachen. Ich erinnere mich, dass eines Tages streunende Wölfe das lagernde Heer der Griechen bedrohten. Dein Vater wollte auf sie Jagd machen. Aber Palamedes war weiser, er sah in der Ankunft der Wölfe die Anzeichen für eine Seuche und verordnete dem Heer Bäder, Turnübungen und Heilnahrung. Da entging mein Heer auch der Seuche, und Ulysses’ Eifersucht kannte von da an keine Grenzen mehr. Die Art, wie dein Vater seinen Feind, das Genie, tötete, war wiederum unwürdig. Eines Tages wird die Welt erfahren, dass man den Brief des Priamos von einem phrygischen Sklaven schreiben ließ und dass dieser Sklave es war, der in Palamedes’ Zelt mit falscher Hand das Gold vergrub, den Beweis für die hinterhältig erfundene Anklage des Hochverrats. Leider war auch mein edelsinniger jüngerer Bruder Agamemnon eifersüchtig auf Palamedes«, sagte Menelaos finster.
Durstig trank er mit
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