Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Und seit dem triumphalen Friedensschluss ist sie wie ausgewechselt!«, sagte er rührselig.
Er sank auf den Diwan nieder. Der Sekretär und die Diener eilten ihm zu Hilfe. Ohne besondere Aufregung machten sie sich um ihn zu schaffen, als wären sie derartige Szenen gewohnt. Aus den Kissen waren geröchelte Worte zu hören, die der beduselte Menelaos im Schlaf von sich gab. Er sagte etwas über Ulysses, was sich anhörte wie eine Bitte und ein Fluch. Aber an mein Ohr drangen nur Wortfetzen. Er sagte:
»Die größte Schuld deines Vaters war …«
Den Satz konnte er nicht mehr beenden. Berauscht schlief er ein. In sein Schnarchen mischte sich eine tiefe, heisere, weibliche Stimme. Sie kam von der Tür her und beendete Menelaos’ unvollendetes Urteil:
»… dass er meinetwegen in den Kampf gezogen ist!«
XIV
Erschrocken wandte ich mich um. In der Tür stand, gestützt auf einen Ebenholzstock mit silbernem Griff, eine würdige, alte Dame. Das goldene Licht der untergehenden Sonne beleuchtete scharf die außergewöhnliche Erscheinung. Die tausend Falten ihres mit Reispuder und Farbe bedeckten Gesichtes passten in dem verräterischen, erbarmungslosen Licht wenig zu der rötlichen Perücke und dem grellen Gewand, das sie trug. Um den welken Hals trug sie eine dreifache dicke Goldkette, die dicht mit Edelsteinen besetzt war. Mund und Fingernägel und sogar die aus den Sandalen herauslugenden Zehennägel hatte sie rot gefärbt. Langsam kam sie auf uns zu. Offensichtlich plagte sie die Gicht, und auch auf den Spazierstock gestützt fiel ihr das Gehen schwer.
Sie blieb vor der Liege stehen, auf der der Held von Sparta schnarchte, und betrachtete kopfschüttelnd den dahingewelkten Heerführer. Ich zog mich ehrfürchtig zurück und sah, dass der Diener und der Sekretär untertänig die Befehle der herausgeputzten, vornehmen, alten Frau erwarteten. Ich konnte mir nichts anderes vorstellen, als dass die Grande Dame des Hauses, die Witwe des Pleisthenes, die Mutter des hehren Menelaos, vor mir stand. Ich wollte ihr die Hand küssen, doch in meiner Verwirrung kam ich nicht dazu, ihr diese Huldigung darzubringen. Ich verstand nicht, wieso diese erhabene, aber schon etwas vertrocknete, alte Dame gerufen hatte, dass mein Vater ihretwegen in den Kampf gezogen sei … Mir blieb keine Zeit, weiter über meine Verunsicherung nachzudenken.
»Bringt ihn in seine Gemächer!«, sagte die alte Frau zu dem Diener und zeigte mit der Spitze ihres Spazierstockes auf den schnarchenden Helden. »Machaon, der Arzt, soll nach ihm sehen. Meldet mir, wenn er ausgeschlafen hat.«
Der Sekretär und der Diener packten den bewusstlosen, betrunkenen Menelaos mit einer geübten Bewegung um Schulter und Taille und entfernten sich mit ihrer schnarchenden Last flink durch eine Seitentür. Als sie verschwunden waren, wandte sich die alte Frau mit scharfem Blick zu mir. Schwerfällig keuchend setzte sie sich – ich sah, dass sie stark geschnürt war, aber auch unabhängig davon musste eine Art Kreuzbeinschmerz ihre erschöpften Glieder plagen, denn nicht nur das Gehen fiel ihr schwer, sondern jede Bewegung! Sie winkte mit dem Stock, ich solle näher treten, und sagte mit tiefer, männlich heiserer Stimme:
»Jetzt hast du ihn gesehen.«
Mit dem Kopf wies sie auf den Diwan, von dem gerade der betrunkene Feldherr weggetragen worden war. Verlegen trat ich von einem Fuß auf den anderen. Die Lage war überaus peinlich. Ich bemühte mich, wohlerzogen zu antworten.
»Hehre Matrone«, sagte ich, »ich bedaure unendlich, dass ich ungewollt Augenzeuge der körperlichen Schwäche deines großartigen Sohnes, des unschlagbaren und wohlharnischten Menelaos war …«
Die geschnürte alte Dame richtete sich trotz ihrer altersbedingten körperlichen Schmerzen mit einer energischen Bewegung kerzengerade auf. Sie zischte, als wäre sie von einer Schlange gebissen worden. Ihre Augen funkelten wütend, ihr Blick strafte ihr hohes Alter für einen Augenblick Lügen.
»Was redest du da, du ungehobelter und törichter Bengel? Glaubst du ernsthaft, dass dieser alte Trinker mein Sohn ist?«
Als ich diese aufgebrachte Frage hörte, erbleichte ich. Ich ahnte, dass sich meine provinzielle Unerfahrenheit rächte und ich einen nicht wiedergutzumachenden Fauxpas begangen hatte. Ich erwartete, ausgeschimpft und bestraft zu werden. Meine Überraschung steigerte sich, als ich sah, dass die ehrbare greise Frau die geschminkten Augen mit den Händen bedeckte und ihr Tränen über die
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