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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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– vor vielen Jahren – mein Vater verschlagen wurde. Mit Leukotheas Rettungsgürtel um den Leib war er achtzehn Tage lang auf dem Meer getrieben und hatte dann nach der Wegweisung von Nausikaas schneeweißen Mädchenarmen endlich Hilfe von den Menschen bekommen und Poseidons Rache entfliehen können.
    Im Zollbüro empfingen mich unfreundliche Angestellte und überprüften mich argwöhnisch. Ich forderte, sie mögen mich sofort zu Alkinoos führen.
    Der Büroleiter, ein wollbärtiger, älterer Phaiake, wurde grob.
    »Sperrt ihn in den Stall!«, rief er seinen Mitarbeitern zu. »Was bildest du dir ein, Fremder? Das Ionische Meer ist voller Schiffe von verdächtigen Abenteurern, die Krankheiten und gefährliche Ideen auf unsere Insel bringen. Geh doch nach Aiaia, du östliche Flohschaukel!«, brüllte er zu mir gewandt in unverschämtem Ton. »Dort werden die Fremden im Stall und in Quarantäne gehalten, bis sich ihr wahres Wesen zeigt. Du sagst, du kamst zu uns, um Stiere zu kaufen. Vielleicht bist du in Wirklichkeit ein Schweinehändler und bringst uns die Seuche auf die Insel.«
    So schimpfte er. Und ich konnte mich persönlich davon überzeugen, dass die Gerüchte nicht übertrieben waren: Die Phaiaken waren wirklich ein gieriges und selbstsüchtiges Volk mit schlechten Manieren und konnten Fremde nicht leiden. Damals wusste ich noch nicht, dass nach dem Besuch meines Vaters, des vornehmen und fürchterlichen Wanderers, die Fremdenkontrolle auf der Insel Scheria verschärft worden war. Später stellte ich fest, dass die Phaiaken allen Grund dazu gehabt hatten.
    Mein Auftreten überzeugte die Inselbewohner schließlich, dass sie es mit einem vornehmen Mann zu tun hatten. Zwei Lanzenträger begleiteten mich zu Alkinoos’ Palast.
    Auf dem kurzen Weg, der vom Hafen in die Innenstadt und dann vom Stadttor durch einen Park voller subtropischer Pflanzen führte, hin zu dem mit Erzplatten umgebenen, hochbedachten Palast des Alkinoos, wunderte ich mich über die farbige Pracht und den blendenden Reichtum, den ich überall sah. Die Phaiaken, die Söhne dieses meeresbefahrenden, überheblichen und schroffen Volkes, hatten in ihrer Heimat dank des internationalen Handels sämtlichen weltlichen Luxus zusammengetragen. Von der Insel Drepane, von der sie stammten, hatten sie nichts anderes als ihre Grundnatur mitgebracht: den Argwohn und die Berechnung. Entlang der Wege des üppigen Parks mit seinen schwer duftenden Blüten erkannte ich mit Herzklopfen die goldenen und silbernen Hunde, von denen ich schon reden gehört hatte – selbst ein in die Kunst Uneingeweihter konnte an den metallenen Hunden sofort die Spuren von Hephaistos’ Meisterhand erkennen. Ich erinnerte mich an alles, was ich irgendwann über die Phaiaken gehört hatte, und begriff, dass dieses Volk die Edelmetalle mochte, es stammte ja vom Blut des entmannten Uranos ab. Aber als ich der Wohnstatt des einstigen Gastgebers meines Vaters näher kam, begriff ich auch noch anderes. Die Ausmaße und die äußerliche Pracht der Wohnhäuser und schließlich des Königspalastes blendeten mich geradezu. Alles verkündete prahlerisch, dass hier kein ländlicher Ziegenhirten-König wohnte, der jeden Abend vor seinem Wohnhaus Gericht hält und seine Untertanen persönlich – mit Stock und Worten – bestrafte, wie es in Argos viele gab, sondern ein reicher und mächtiger Herrscher, der über die Provinzen von zwölf Phaiakenfürsten gebot. Alles war hier anders als bei uns, verführerischer, üppiger als im ärmlichen Ithaka. Das Lapislazuli-Dach von Alkinoos’ Palast, seine silbernen Säulen und goldenen Türen glänzten wie eine fieberglühende Sommernacht, wie Mond und Sonne. Wir aus Ithaka, die wir nichts anderes als die Landwirtschaft und Viehzucht kannten, träumten nicht einmal von dem Luxus, der sich dem Wanderer in den Häusern der Phaiaken, der geübten Söhne der Seefahrt und des Handels, überall präsentierte. Während mich die Lanzenträger mitten durch all diese Sehenswürdigkeiten zu Alkinoos führten – herablassend, wie sie mit Fremden immer umgingen –, musste ich daran denken, dass im Herzen meines Vaters angesichts dieser großen Pracht und dieses Glanzes gewiss Mitleid erwacht war mit unserem ärmlichen Ithaka.
    Ich dachte jedoch auch daran, dass mein Vater trotz alledem nicht hier inmitten dieser verführerischen Pracht geblieben war – obwohl ich nicht daran zweifelte, dass seine bestechende Persönlichkeit ihm die Möglichkeit dazu geboten und

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