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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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begeistert. »Der liebste, unterhaltsamste Liebhaber. Mann und Kind zugleich. Ein umherstreifender Halbwüchsiger und zugleich weise wie die Sklaven, die auf griechischen Märkten von Leben und Tod lehren. Ob er schlief oder wach war – sieben Jahre lang war seine Präsenz in diesem Haus zu spüren. Von dem Augenblick an, in dem er meine Insel betrat, habe ich mich nie allein gefühlt. Die Nereiden – obwohl sie auf der Insel Lesbos sonderbare Spiele gelernt haben und sich am liebsten miteinander beschäftigen – sangen laut und glücklich bei der Arbeit, als wäre das Haus mit einer verborgenen Freude erfüllt. Meine Nymphen und Satyrn gingen flink und gut gelaunt an den Dienst. Vielleicht schickt es sich nicht ganz, mein Sohn, dass ich so offen zu dir von allem spreche, was zwischen deinem Vater und mir vorgefallen ist … Aber du bist ein Mensch, bist ein Mann, bist sein Sohn … Mit wem soll ich darüber reden, wenn nicht mit dir? Meine göttlichen Besucher, Hermes, Pan und die anderen, glauben, sie wüssten die Wahrheit, aber ich schweige vor ihnen, denn ich will nicht ihren Neid wecken. Mein Sohn, beuge dich näher zu mir.« Sie senkte die Stimme und raunte geheimnisvoll: »Ich will nicht, dass die neidischen Götter hören, was ich jetzt sage. Ich war sieben Jahre lang glücklich. Natürlich nicht auf die Weise wie die sterblichen Frauen, die das Glück zwischen Stube und Küche erleben, die es mit einem sentimentalen Gesellschaftsspiel verwechseln und ihre Gefühle in unendlicher Sicherheit wissen wollen. An der Seite von Ulysses kann man von Beständigkeit nicht einmal träumen, und von Sicherheit auch nicht. Wie das Meer, von wo er eines Tages kam, so war auch er: launenhaft, sich immer erneuernd und veränderlich. Er konnte großartig erzählen, das ist wahr. Aber wie meisterhaft er schweigen konnte! Vielleicht habe ich ihn nie so innig, mit so mütterlichen und zugleich so heftig weiblichen Gefühlen geliebt wie in den langen Nächten, in denen er nicht in meinem Bett lag, sondern mit mir hier saß und mich bat, ich möge ihm vom Ursprung der Welt, der Götter und der Menschen erzählen. Deine strahlende Mutter konnte deinem Vater mit all ihrer großartigen Tugendhaftigkeit nicht das bieten, was ich ihm geboten habe!« In ihrer Stimme lagen Leidenschaft und Eifersucht. »Das ist natürlich, weil deine Eltern, obwohl sie göttlicher Abstammung sind … wie es einst alle Menschen waren … die Erinnerungen an die herrliche Wirklichkeit am Anfang der Zeiten in der Blindheit des irdischen Daseins schon vergessen haben. Meine hehre Nachbarin Kirke ist selbst auch eine Nymphe. Aber sie hat deinen Vater nie Geheimes gelehrt … wenn man nicht das Panschen von Giften, Gebräuen und Zaubertränken, auf das sie sich versteht, als geheime Wissenschaft bezeichnen will.« Hass lag in ihrer Stimme, doch dann sprach sie ruhiger weiter. »Nein, die großen Geheimnisse habe ich ihn gelehrt. Hat er dir und deiner Mutter nichts davon erzählt?«, fragte sie argwöhnisch.
    »Mein Vater war wortkarg nach seiner Heimkehr«, antwortete ich mutlos. »Er begnügte sich damit zu handeln. Mit Worten war er vorsichtig …«
    »Weil er etwas wusste«, sagte Kalypso rasch und zufrieden. »Er schwieg, er weihte euch, die ziegen- und pferdezüchtenden Achäer, nicht in die letzten Geheimnisse ein, die er von mir gelernt hatte. Ich ließ ihn schwören, dass er schweigen würde, und ich höre mit Freude, dass er seinen Schwur gehalten hat. Er ist einer der wenigen Menschen, die wissen, dass ein Schwur etwas Wichtiges ist, ja, dass ein Schwur bindet! Ihr dort auf der Erde schwört heutzutage nur noch, mehr oder weniger gutgläubig … Aber zu Anbeginn der Zeiten gab es einen Schwur, der mehr war als ein Versprechen. Es gab einen Augenblick in der unendlichen Zeit, in dem der Schwur eine echte Tat war. Kannst du schweigen?«, fragte sie plötzlich in angreifendem Ton.
    »Göttin«, sagte ich und richtete mich im Sitzen auf, so gut ich konnte, »ich kann nur mit irdischen Worten schwören. Wenn du dich damit zufriedengibst …«
    »Ich gebe mich zufrieden«, sagte sie feierlich, »weil du sein Sohn bist. Alles kann ich dir nicht sagen.« Nach der ersten Begeisterung wurde sie vorsichtig und abwägend. »Aber ich will auch nicht, dass du auf ewig im Nebel der Unwissenheit lebst, zu der dich deine Erziehung in Ithaka verurteilt hat. Wir sind Verwandte, ob wir wollen oder nicht, und diese Verwandtschaft verpflichtet«, sagte sie großzügig.

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