Die Frauen von Savannah
hatte.«
»Wirklich?«
Ihre wasserblauen Augen blitzten. »Tallulah und ich sind kurz nach deiner Geburt den ganzen Weg bis nach Ohio gefahren. Ich freue mich, dich wiederzusehen.«
Irgendwo in den Tiefen des Ladens schlug eine Uhr zwölf Mal.
»Mittagszeit«, sagte Tante Lu und zog einen kleinen Schlüssel aus der Tasche. Sie öffnete die Kasse, holte zwei Münzen heraus und eilte zur Tür hinaus. Wir sahen sie durchs Fenster einen freien Parkplatz aussuchen. Sie beugte sich vor und lauschte dem Rattern der Parkuhr, als sie die Münzen hineinsteckte. Dann kam sie wieder herein und sagte: »Könnt ihr mir helfen?«
Sie und Tante Tootie schleppten einen kleinen Kartenspieltisch auf den Parkplatz, und ich folgte ihnen mit drei Klappstühlen.
»Wo ist denn der vierte Stuhl?«, fragte Tante Tootie.
»Der ist kaputtgegangen, ich habe ihn weggeworfen. Rosa bringt sich einen Stuhl mit. Bin gleich wieder da.«
Als sie wieder im Laden war, schaute ich auf den alten, mit Linoleum bezogenen Tisch. »Wir essen hier draußen zu Mittag?«
Tante Tootie lächelte. »Frag Rosa und Lu ruhig danach, sie erzählen dir, woher das kommt.«
Tante Lu kehrte mit einem Korb voller Sandwiches, Kekse und Getränke zurück. Sie legte eine gestärkte Leinendecke auf den Tisch, und kaum hatten wir uns gesetzt, da war auch schon ein metallisches Klackern zu hören. Rosa Cicero, Tante Lus beste Freundin, kam. Ihre Stöckelschuhe machten ein scharfes Klicketiklick , sie schob einen Bürostuhl vor sich her, und zwischen ihren roten Lippen klemmte eine nicht brennende Zigarette. Sie brannte deswegen nicht, sagte Tante Lu, weil Rosa schon vor Jahren aufgehört hatte zu rauchen, aber den Gedanken an Zigaretten doch nicht ganz aufgeben konnte.
Rosa sah bemerkenswert aus. Nicht, weil sie im herkömmlichen Sinne schön gewesen wäre, sondern weil sie eine urtümliche Weiblichkeit ausstrahlte, von der ich sicher war, dass sie den meisten Frauen unangenehm war und den meisten Männern den Kopf verdrehte. Und wenn sie lächelte, war es reine Magie.
Rosa verdiente ihr Geld als Buchhalterin für Wilma Jo’s Beauty World, nur einen halben Block von Tante Lus Schmuckgeschäft entfernt. Tante Tootie sagte, Wilma Jo’s sei die Adresse für toupierte Frisuren und Haarefärben. Tante Lu meinte, es biete zumindest die beste Unterhaltung der Stadt.
»Siehst du«, sagte Tante Lu, als zwei Damen unter der sonnengebleichten, rosa-weiß gestreiften Markise hervortraten. Eine hatte einen blonden Turm auf dem Kopf, der aussah wie Zuckerwatte, und die andere trug das kastanienbraune Haar zu einem perfekt runden Knoten gedreht. Er war so mit Haarspray fixiert, dass sich bei einer Windbö nicht ein einziges Haar bewegte. Ich zweifelte nicht daran, dass Wilma Jo’s die spektakulärsten Turmfrisuren diesseits von Savannah produzierte.
»Und was hat es mit dem Straßenpicknick auf sich?«, fragte ich und biss von meinem Sandwich ab.
Rosa lachte. »Also, vor Jahren war ich mit einem Mann namens Frank verheiratet. Er wechselte dauernd den Job, normalerweise mit ein paar Monaten Arbeitslosigkeit dazwischen, die er auf dem Golfplatz verbrachte. Neunzehn Jahre lang habe ich ihn und unseren Sohn durchgefüttert, aber eines Freitagmorgens bin ich aufgewacht und habe geschrien: ›Es reicht!‹ Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu schreien, bin wie eine Wilde durch das Haus getobt und habe die dreckige Wäsche meines Sohnes in den Müll geworfen und die Bierflaschen meines Mannes aus dem Kühlschrank geholt.«
Rosa lehnte sich zurück und lachte. »Mein Sohn ist zur Tür hinausgestürmt und zur Armee gegangen. Frank ist mitsamt seinen Golfschlägern abgehauen, und ich bin hinter ihnen her und habe mir eine Einzimmerwohnung mit rosa gefliestem Bad und einem hochflorigen Teppich genommen. Und dann habe ich mir noch am selben Tag ein lila Samtsofa gekauft.«
Tante Lu kicherte. »Der Kauf des lila Sofas war der Anfang der freitäglichen Straßenpicknicks. Rosa wollte jedes Gehalt feiern, das sie für sich behalten konnte.«
Rosa nickte. »Freitag ist Lila-Samtsofa-Tag für die unterdrückte Frau, die ihr Leben zurückerobert hat. Ein lila Samtsofa ist der Inbegriff der Freiheit der Frauen.«
»Lu, es war aber deine Idee, den Tisch vor den Laden zu stellen, oder?«, fragte Tante Tootie.
Tante Lu trank einen Schluck Ginger Ale und nickte. »So konnte ich unsere finanzielle Unabhängigkeit feiern, ohne dass mir ein Geschäft entging, falls jemand in den Laden
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