Die Frauen von Savannah
tragen.« Sie umfing ihre Brüste mit den Händen. »Aber ich wollte, dass meine Mädels … na ja, aufrecht dastehen. Also bin ich im Keller herumgekrochen und habe eine Rolle Klebeband gefunden. Wirkt wirklich Wunder.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber Oletta lachte Tränen. »Okay, das war’s. Jetzt kann ich in Frieden sterben, ich hab alles gesehen. Aber was machen Sie, wenn Sie das wieder abziehen wollen? Da reißen Sie sich ja die Haut ab.«
Miz Goodpepper zuckte mit den Schultern. »Tja, wahrscheinlich. Aber das ist es mir wert. So gut habe ich seit fünfzehn Jahren nicht mehr in einem rückenfreien Kleid ausgesehen.«
Oletta schüttelte den Kopf und nähte weiter. »Und mit wem gehen Sie zum Empfang? Er muss Ihnen ja ganz schön wichtig sein, wenn Sie sich das antun.«
»Na ja, eigentlich hatte ich schon Travis Davidson zugesagt. Aber als dann auch noch Clayton Brewster anrief und mich fragte, musste ich einfach annehmen.«
»Ach du liebe Zeit. Clayton Brewster? Ich dachte, mit dem sind Sie fertig.«
Miz Goodpepper errötete. »Oh, jetzt schimpfen Sie nicht mit mir. Ich weiß, er ist ein Schuft, aber er ist wirklich amüsant und der beste Tänzer, den ich kenne.«
»Und was tun Sie, wenn Mr Travis Sie mit Mr Brewster sieht?«
»Keine Ahnung«, sagte Miz Goodpepper mit einem kehligen Lachen. »Das war wirklich nicht nett von mir. Ich gehöre auf den elektrischen Stuhl.«
Nach wenigen Minuten war Miz Goodpeppers Kleid repariert. Oletta knipste das Ende des Fadens ab und trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu bewundern. »Perfekt«, sagte sie stolz. »Sieht kein Mensch.«
»Oletta, ich kann Ihnen gar nicht genug danken.«
»Mach ich doch gerne.«
»Gut, dann will ich mal los, mit Clayton die Nacht durchtanzen«, sagte Miz Goodpepper und ging zur Tür.
»Aber rufen Sie mich bloß nicht, wenn das Klebeband ab soll.«
Miz Goodpepper lachte und verschwand.
Nach der langen Busfahrt und der Hitze fühlten Oletta und ich uns ganz klebrig, und so gingen wir hinauf, um zu duschen. Ich kehrte mit noch nassen Haaren in die Küche zurück, in einem kurzen weißen Schlafanzug mit Lochstickerei, den ich über alle Maßen liebte. Oletta stand am Tresen und trug ein knallbunt geblümtes Hauskleid. Sie häufte Hüttenkäse und kühle, süße Erdbeeren auf zwei Teller, und ich stand am Fenster und betrachtete zwei bunt getupfte Nachtfalter, die auf dem Fliegengitter ihre Flügel ausgebreitet hatten wie winzige Papierdrachen, die auf Wind warteten. Es war so heiß, dass sogar die Junikäfer niedergeschlagen aussahen.
Wir nahmen unser Abendbrot mit auf die hintere Veranda und aßen mit den Tellern auf dem Schoß. Wir sagten nicht viel, genossen nur die Ruhe und hingen unseren Gedanken nach. Als wir fertig waren, machte Oletta es sich gemütlich und schaukelte in ihrem Schaukelstuhl, und ich räumte auf und machte den Abwasch.
»Hör mal. Hörst du das Trommeln?«, fragte sie, als ich auf die Veranda zurückkam. »Das muss die Highschool-Band sein, die für die Parade am Labour Day probt. Das ist hier ein Riesending. Magst du Paraden?«
Ich schüttelte den Kopf.
Oletta trank einen Schluck Eistee. »Nicht? Ich dachte, alle Kinder lieben Paraden.«
»Also, ich nicht. Nicht mehr.«
»Warum das denn?«
Die Erinnerung kam wieder hoch, so klar wie ein Farbfilm im Kino. Ich ließ mich auf den Stuhl fallen und erzählte Oletta die Geschichte.
In unserer Stadt gab es jedes Jahr eine Parade zum vierten Juli. Es war ein großes Ereignis, und die Vorbereitungen fingen schon eine Woche vorher an. Die Feuerwehr führte ihren funkelnden Leiterwagen vor, als sie kilometerweise Krepppapier von einem Laternenpfahl zum nächsten spannte, die ganze Euclid Avenue hinauf. In den Schaufenstern hingen amerikanische Flaggen, und an den Säulen der Stadthalle waren riesige Trauben von Luftballons in Rot, Weiß und Blau befestigt.
Schon frühmorgens fingen die Anwohner an, Klappstühle auf die Gehwege zu tragen und sich die Plätze mit dem besten Blick zu sichern. Es wurden sogar ein paar alte Leute auf die Veranda des Altersheims geschoben, damit sie die Parade sehen konnten, in Decken eingewickelt wie in Kokons. Ich fand einen guten Platz hinter einem hohen Fliederbusch, wo ich selbst nicht so gut zu sehen war. Ich war elf Jahre alt, und es war die Zeit, in der ich wegen meiner Mutter am schlimmsten gehänselt wurde, also wollte ich so unauffällig wie möglich sein.
Die Parade begann mit dem Getöse von Trommeln
Weitere Kostenlose Bücher